jänner-februar 1998

Romana Klär
titel

»Einmal am Tag gewinnen«

Arbeitslosigkeit ist (k)eine Privatsache

Drei Frauen und zwei Männer haben sich im Sommer zu Interviews über ihre persönliche Situation während der Suche nach einem Arbeitsplatz bereiterklärt. Eine von ihnen hatte nichts zu verlieren, weil sie mit ihrer Lehrstellensuche ohnehin erst ganz am Anfang stand. »Ein paar Hundert Schilling Aufwandsentschädigung lassen sich gut anlegen«, sagt sie. In Samstagszeitungen, Bier oder Kinokarten, ergänzen andere. Ist es doch Luxus, als ArbeitsloseR mit Freunden wegzugehn. Zwei brauchten sich einfach nur erinnern. Haben Glück gehabt und es bereits hinter sich. Eine ist mit dem Schrecken davongekommen oder hat - im anderen Fall - das nötige Geschick und eine kluge Taktik an den Tag gelegt. Resolutheit gezeigt, sich nicht unterkriegen lassen und »selbständig« gemacht. »Die anderen sind selber schuld«, meint sie. Denn »eine, die will, die kann!« Einer versuchts.

Mit finanzieller Unterstützung von Stadt, Land und Arbeitsmarktservice entstand ein Videodokument von Ulrike Ramsauer, das abseits von Arbeitslosen-Statistiken die sozialpsychologischen Auswirkungen, die fehlende Erwerbstätigkeit nach sich zieht, in den Mittelpunkt rückt.

Festgehalten wurden fünf (Lebens)Geschichten, die aufgrund unterschiedlicher familiärer Strukturen, geschlechtlicher Identitäten und Altersgruppen sowie nationaler Zugehörigkeit verschiedener nicht sein könnten. Dennoch gibt es eine Gemeinsamkeit: Arbeitslosigkeit zeigt sich bei den InterviewpartnerInnen als Privatsache und individuelles Schicksal, dem nur durch eigene Anstrengungen beizukommen ist. Schuld und Verantwortung liegen bei einem selbst, resümieren die Suchenden. Nicht (Wirtschafts)Politik sondern mangelnde Ausbildung, fremdländische Herkunft, Kinder in die Welt gesetzt oder einen kaputten Rücken zu haben, naiv zu sein wenn eine - etwa um die 40 - von sich aus kündigt, weil das Arbeitsklima krank gemacht hat und sie nicht glauben wollte, daß es ohne noch schlimmer kommt, seien für ihre miesliche Situation verantwortlich. Strukturen, die den Arbeitsmarkt steuern, scheinen von den Befragten vergessen oder gar nicht mehr erkannt zu werden. Was sie beschäftigt und den Blick verstellt sind schlaflose Nächte, in denen der eigene Wert, die Beziehung zum Ehemann, zu den Kindern, den Eltern und Freunden auf eine harte Probe gestellt wird sowie das Kreisen der Gedanken ums Wesentliche: Die Miete, die Rate, den Luxus. Nicht immer geht es um die Sicherung der nackten Existenz. Erwerbsarbeit heißt auch, den einmal geschaffenen Lebensstandard halten wollen und von anderen unabhängig sein.

»Schwere soziale und psychische Probleme, die nach einiger Zeit des Arbeitslos-Seins auftreten, verhindern Solidarität unter den Arbeitssuchenden«, erklärt der Wiener Sozialwissenschafter Walter Reiter. Das Gefühl des völligen Alleinseins überwiege. Die Verantwortung aus der Krise herauszukommen, wird bei sich selber gesucht. Eine objektive Dynamik - wirtschaftliche und politische Strukturen - werden angesichts des verloren gegangenen Selbstwertgefühls nicht mehr wahrgenommen. Denn gemeinsames politisches Engagement sei nur dann möglich, wenn die (physische und psychische) Existenz gesichert ist. Die stetig voranschreitende Liberalisierung des Arbeitsmarktes hingegen setze ungeheure Verunsicherung frei. »Prekäre Jobs« - ohne Sozialversicherung und geregelte Arbeitszeiten - werden bekanntlich auch hierzulande immer häufiger. In Großbritannien stehen derzeit nur mehr etwa 20 Prozent der Beschäftigten in klassischen Arbeitsverhältnissen mit »voller« Anstellung. Vor 20 Jahren waren es noch 80 Prozent. Dieser Trend ist in allen industrialisierten Gesellschaften zu beobachten. Damit geht auch ein Wertewandel einher, den die Sozial- und Politikwissenschafterin Susanne Schunter-Kleemann bei der österreichischen Armutskonferenz in Salzburg Anfang des Jahres folgendermaßen kommentierte:

»Wir alle, Beschäftigte und Arbeitslose, sind Adressaten eines Trommelfeuers, einer giftigen Mischung aus Wettkampfethos, Rassismus und Nationalismus. Wir sollen lernen, daß in der Gesellschaft Wolfsgesetze herrschen. Wir sollen einsehen, daß die Zeiten der sozialen Sentimentalität nun endgültig vorbei sind.«

Nur einmal am Tag gewinnen. Momentaufnahmen der Arbeitssuche, Eine Videodokumention von Ulrike Ramsauer in Zusammenarbeit mit Romana Klär. Kamera: Hermann Peseckas, Musik: Peter Valentin,

Schnitt: Ulrike Ramsauer und Andreas Aichmayr

wurde kürzlich im Salzburger Filmkulturzentrum DAS KINO präsentiert und sollte künftig vom AMS arbeitssuchenden Kurs-TeilnehmerInnen zugänglich gemacht werden. Der Einsatz des Videos in Schulen und bei Diskussionsveranstaltungen ist möglich.