jänner-februar 1998

Thomas Neuhold
leitartikel

Massenverelendung?

Laut EU-Statistik EUROSTAT sind in Österreich knapp 890.000 Personen oder 330.000 Haushalte, laut OECD-Berechnung sogar rund 1,1 Millionen Menschen armutsgefährdet. Für Einzelpersonen liegen die Armutsgrenzen bei einem Haushaltseinkommen von etwa 8.800 Schilling (EUROSTAT), für eine Familie mit zwei Kindern bei 18.500 Schilling.

Als diese Zahlen im November vergangenen Jahres veröffentlicht wurden, blieb es wieder einmal Organisationen wie der Caritas vorbehalten, vor der weiteren Verarmung großer Gruppen der Bevölkerung - Familien, Alte, Arbeitslose,... - zu warnen. Im Boulevard waren seitenweise Sozialreportagen mit dem Motto »arm aber glücklich« zu lesen, in den Polit-Sekretariaten der sozialen und der demokratischen Parteien herrschte bezeichnendes Schweigen. Hintenrum allerdings schickten Parteien und Sozialverwaltungen EmissärInnen - dienstbare WissenschafterInnen, JournalistInnen und FunktionärInnen - aus, um gegen die Statistik vor allem aber um gegen den Begriff »Armut« Stimmung zu machen. Arm heiße in diesem Zusammenhang lediglich »Verzicht auf Luxus«, von wirklichem Elend könne in diesen Dimensionen hierzulande keine Rede sein, so die Argumentation.

Das sollten die Herrschaften einmal einer Alleinerzieherin mit zwei Kindern und 9.000 Schilling monatlich erzählen! Ein sozial angemessener Standard ist nämlich mehr als nur die Abwesenheit von Hunger und Obdachlosigkeit. Abgesehen davon, daß in den westlichen Industrienationen auch die Zahl der Hungernden rasant im Steigen begriffen ist, beinhaltet ein sozial angemessener Standard in Mitteleuropa eben auch, halbwegs die Chance zu haben, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilnehmen, den Kindern einen adäquaten Bildungszugang ermöglichen und einigermaßen frei von täglicher Existenzangst leben zu können.