märz 1998

Romana Klär

Gebt mir ein neues Feindbild

Kriegerischer Gebrauch der Sprache als treffsichere Waffe

»In den meisten Fällen können wir die Last der wochen- bis monatelangen Wartezeit bis zur Abschiebung nur lindern«, erzählt Rainer Staduan, Leiter der »Sozialbetreuung Schubhaft« in Salzburg. Seit mittlerweile einem Jahr ist es ehrenamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiter-innen des Evangelischen Flüchtlingsdienstes gestattet, »Angehaltene« in der Schubhaft zu besuchen, sie in Zusammenarbeit mit amnesty und Caritas rechtlich zu beraten und ihnen durch ihre Aufmerksamkeit bei Gesprächen sowie durch die Bereitstellung dringend benötigter Alltagsgegenstände - von Nahrung über Kleidung bis zu Telefonwertkarten, um mit Familienangehörigen Kontakt aufzunehmen - die Haftbedingungen ein wenig zu erleichtern.

»Aggressivität und Depression, Angst, Resignation, Überforderung, Nicht-mehr-Weiterwissen sind bei den rund 90 Schubhäftlingen, die in den Zellen des Polizeigefangenenhauses in der Alpenstraße derzeit eingeschlossen sind«, an der Tagesordnung, berichtet Staduan.

Geschürt werden diese die Gesundheit gefährdenden Symptome durch die Bedingungen, unter denen die Geflüchteten in der Schubhaft an-gehalten werden (um ihr Untertauchen zu verhindern, heißt es). Die seien nämlich härter als bei Straftätern, wissen »Flüchtlingsbetreuer« zu berichten. Auf engstem Raum gebe es für Menschen aus mehr als 50 Nationen beispielsweise nach wie vor keine ausreichende Bewegungs- und/oder Beschäftigungsmöglichkeit.

In kleinen Schritten werden jetzt manche Vorurteile der Beamten subsumiert: »Des sind ja alles langhaarige Alternative oder linke Radikale, die Betreuer«) abgeschüttelt und vom Polizeidirektor abwärts die Zusammenarbeit mit Nicht-beamteten-Häfen-MitarbeiterInnen für »sinnvoll und gut« befunden.

Dennoch: Für eine Aufstockung des Gebäudes existieren bereits Pläne. Ab Sommer 1999 sollten weitere 65 bis 75 Schubhäftlinge »an-gehalten« werden können, berichtet Polizeidirektor Schweiger.

Die »Heimführung« ins Herkunftsland scheint für alle, die dort keine unmittelbare politische Verfolgung oder Folter (nachweislich) zu befürchten haben, gewiß. Verantwortlich für individuelles Leid, das sich in europäischen Gefangenenhäusern abspielt, ist ein konstruiertes Bedrohungsszenario, das sich nicht zuletzt in der Sprache der MedienmacherInnen manifestiert und unser aller Denken mehr oder weniger heftig diktiert.

Da ist von »Flüchtlingsströmen« die Rede, von einer »Welle« von Gewalt, die sich einen »Damm brechen« will, von einer immer größer werdenden »Infiltration«, die immer wieder eine Symbolik des »Eindringens« und »Einsickerns« erhält. »Zum einen wird generell bereits die anonyme Masse gefährlicher, weil noch anonymer und als Masse nicht erkennbar. Zum anderen wird der medizinische Bereich angeschlossen, so daß die Einwandernden als Krankheit erscheinen und auf der Seite der reichen Länder, auf der Seite Wir also, die gefährdeten Körpergrenzen angesprochen werden. Die Subjektivierung der Bedrohung wird damit gesteigert. Sie wird hautnah«, erläutert die Bochumer Sprachwissenschafterin Ute Gerhard.

Sprach-Bilder, aber auch Fotomontagen (einer subjektlosen Masse), Karikaturen (von »vollen Booten«), und graphische Darstellungen von »Wander- strömen« transportieren angsteinflößende Bedeutungsebnen mit.

Eine selbst auferlegte Regelung des Sprachgebrauchs - nicht mehr länger von »den Illegalen, den Wirtschaftsflüchtlingen...« - zu reden, mag ein Anfang sein. Sie wird jedoch keine wirkliche Veränderung nach sich ziehen, solange der gesellschaftspolitische Boden, auf dem diese niemals wertfreien Bezeichnungen, also Zuschreibungen, gedeihen, verborgen bleibt.

»Gebt mir ein neues Feindbild«

Seit dem Zusammenbruch des »Eisernen Vorhangs« und dem »Ende des Kalten Krieges« mußten Nordamerika und West/Mittel-Europa nicht lange nach einem Ersatzgegner suchen, um sicherheitspolitische Kapitalflüsse und die damit verbundene Politik nicht anderweitig umleiten zu müssen.

Verstärkter militärischer Grenzschutz an den Süd-Ost-Rändern der »Festung Europa«, Lauschangriffe, innenpolitische »Mia san mir - das Boot ist voll«-Gesetze kennzeichnen nicht zuletzt die Behandlungsmethoden, die das Schengenland für all jene parat hat, die nicht in das Konzept Europa passen.

Dabei muß man sich nur die Reaktionen ansehen, die Anfang dieses Jahres durch in Italien »gestrandete« kurdische Flüchtlinge ausgelöst wurden: Da vermuten bedeutsame EU-Funktionäre, daß hinter der neu aufschwappenden »Flüchtlingswelle« eine wohlüberlegte Aktion der PKK stehe, um die »Kurdenproblematik« nach Europa zu importieren, will Bayerns Innen-Chef das Schengener Abkommen gar aufheben und erklärt Österreichs Innenminister in menschenverachtender »Herr Karl«-Logik im Standard: »Wird in Italien kein Asylantrag gestellt, liegt wohl keine politische Verfolgung vor«. Deutschlands Minister für Inneres - immerhin mitverantwortlich für eine Gesetzgebung, die eine Visapflicht für in Deutschland geborene »Ausländerkinder« verlangt - bereitet sich sogleich auf eine Art Kriegszustand vor und läßt sich von einem hohen Bundeswehroffizier die möglichen »Einfallsrouten« der kurdischen Flüchtlinge - anschaulich durch Pfeile dargestellt, die von der Türkei direkt ins Herz Europas, sprich Deutschland, treffen - auf einer Militärkarte erklären. »Grenzdämme« erhalten durch bildlich plausible Bedrohungsszenarien ihre Berechtigung.

Dabei wird sowohl von PolitikerInnen wie von Medien-MacherInnen alles unterschiedlos in jenen Topf gehauen, der als zweiter Ersatzgegner noch größere und auch scheinbar tiefer sitzende Angst/Überfremdungspotentiale mobilisieren kann.

Unter »AusländerInnen« versteht man dann Fundamentalismus (»der Islam«), organisierte Kriminalität (Schleppertum) und Massen »illegaler Wirtschaftsflüchtlinge« . Hier zeigt sich der eurozentrische Zynismus pur. Denn »illegal« ist hier grundsätzlich jedes Individuum, das sich nicht »legal« im Schengen-Europa aufhält, ergo auch dann als »IllegaleR« anzusehen ist, wenn sich der »legale« Aufenthaltsort außerhalb »Europas« befindet. Bei einem »illegalen« außereuropäischen Aufenthaltsort potenziert sich diese Euro-Definition von »illegal«. Im Falle der Kurden, die mit knapp 30 Millionen das größte Volk der Erde ohne Staat sind, bedeutet dies also eine Art doppelter »Illegalität«, die sogar das »legale« Erlangen notwendiger Papiere verunmöglicht.

Das läßt sich nicht nur anhand von medial vermittelten Images konstatieren, bei denen der »AusländerIn« ohne den Zusatz »illegal« fast nicht mehr vorkommt. Die Rede von den »illegalen AusländerInnen« schwingt auch dort mit, wo es gar nicht mehr des Zusatzes »illegal« bedarf. In diesem System ist jedeR Ausländer einE illegaleR AusländerIn. Wie wäre es sonst erklärbar, daß im Zuge der Berichterstattung über die kurdischen Flüchtlinge immer wieder militärische/ polizeidienstliche Stellen, die hauptsächlich zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und Drogenhandels eingerichtet wurden, zu Wort kamen, um »Flüchtlingswellen« und »Schleppertum« als neues Betätigungsfeld zu propagieren? Was man bei der Bekämpfung illegaler Drogen - die bekanntlich auch in ihren »Ursprungsländern« großteils als »illegal« gelten - schon gelernt hat, könne man nun auch zur Bekämpfung »illegaler« Menschen anwenden.

So machen es sich die europäischen Festungswächter auch im Falle ihrer humanistischen Betroffenheit bezüglich Schlepperunwesen/Menschenhandel sehr einfach. Der Empörung über brutales Menschenausbeutertum, das laut Internationaler Organisation für Migration einen Jahresprofit von 90 Milliarden Schilling »erwirtschaftet«, folgt meist die Verhängung der Schubhaft. Schließlich die »Abschiebung« dorthin, wo die »Verschleppten« eigentlich weg wollten.

Was dabei übersehen wird, ist die immer größer werdende Diskrepanz zwischen einem europäischen Selbstverständnis, welches sich beinahe naturgesetzlich abgesichert als »offen«, »rechtsstaatlich« und »demokratisch« wahrnimmt und einer gesetzlich beschlossenen Realität, die immer mehr zu dem wird, was Europa selbst als »Nichtaufnahmekriterien« für den Beitritt zum Club Europa definiert hat: Legislative Aushöhlung der Demokratie, Fundamentalismus, kein Schutz für Minderheiten, die Grenzen zu, die Reihen dicht...