märz 1998

Gudrun Seidenauer
titel

Reden ist Blech, Schweigen ist Blech

Zum Fall Schwerte/Schneider, EX-SS-Mann & Demokrat

»Wenn heute unsere Soldaten diesen Erdteil neu und jung gestalten - wer könnte sagen, wir hätten keinen Mythos? Zwingt uns nur ein Befehl? Treibt uns ein Kommando? Nein - jene Sehnsucht nach dem Reich ist in uns durch den Führer mächtige Stimme geworden und will ihre Verwirklichung. Also wird unserem Wesen auch das dichterische Wort wachsen!«

Überflüssig, dieses aus hunderten ähnlich intonierten Sätzen herausgegriffene Exempel großdeutscher Faschistenprosa, gefunden in der Nazi-»Kultur«-Zeitschrift »Weltliteratur«, 16. Jg., 1941, gezeichnet Hans Ernst Schneider (= Univ.-Prof. Dr. Hans Schwerte) zu kommentieren. Die Beiträge in diesen einschlägigen Organen zu lesen macht Sinn, wenn man etwas über das Kultur- & Literaturverständnis der Nazis und die Wadelbeißereien unter den geschätzten Dichtern und Deutern deutschen Irrsinns erfahren will. Die Lektüre ist allerdings auch schlicht enervierend, da wissenschaftlicher Eifer kaum hinreicht, den unverjährbaren Ekel über jenes krude Sammelsurium pathetisch-hochgeschraubter Gehässigkeit und Wahrheitsverachtung in erträglichem Ausmaß zu halten. An der Feier des Mörderischen in der Weihehalle des Kulturellen, gerade da, wo von Werden, Wachsen, Verwirklichung die Rede ist, hatten Intellektuelle, insbesondere Geisteswissenschafter, wesentlichen Anteil. Die gängige Gleichung Faschist = Dummkopf will nicht aufgehen, sie ist sogar eine gefährliche Verkürzung.

Mit der üblichen Verspätung von einigen Jahrzehnten und mindestens einer Generation ging man denn auch daran, speziell die Geschichte der Germanistik als zentrale »Hilfswissenschaft« für die Ideologie der Germanisierung, sprich Faschisierung des gesamten Kulturlebens zu untersuchen. Dies hieß und heißt auch, die Geschichte ihrer Exponenten bis in die Gegenwart zu beleuchten. Diese verläuft in der großen Mehrzahl nach 1945 keineswegs so, wie antifaschistisch gesinnte Nachgeborene sich dies in ihren zwischen Rache und Gerechtigkeit pendelnden Bedürfnissen vorgestellt haben. »Daß das Nachkriegsdeutschland auf einem Schindanger errichtet worden ist, und daß die Mehrheit der Schinder auf ihm in Pension gegangen ist, ist eine Tatsache, die niemals ganz emotionell begriffen werden kann«, so Jan Phillipp Reemtsma in seinem Beitrag »Nationalsozialismus und Moderne«. Wieder einmal belehren Fakten die Emotionen eines Schlechteren: Aus den 13,2 Millionen Fragebögen, die im Zuge eines umfassenden Entnazifizierungsplans der Alliierten ausgefüllt worden waren, eliminierte man mittels »Befreiungsgesetz« von 1946 bereits über 70% als »nicht betroffen«. Von den übrigen 945 000 blieben nicht mehr als 0,05% übrig, das sind 1645 Hauptschuldige und 22 122 sogenannte Belastetete.

Dennoch: Emotionen sind ziemlich unbelehrbar. Der Riß im Kopf zwischen bekannten Tatsachen und deren Unfaßlichkeit wird im Frühjahr 1995 denjenigen schmerzlich bewußt, die bis Mai 1995 im Aachener Germanisten, ehemaligen Rektor der dortigen RWTH und Honorarprofessor in Salzburg, Univ.-Prof. Dr. Hans Schwerte bisher einen integren, hochgelehrten und zweifelsfrei demokratisch denkenden, linksliberalen Kollegen bzw. Lehrer gesehen haben.

Wie Reporter vom niederländischen Fernsehsender KRO recherchiert hatten, war Schwerte unter seinem eigentlichen Namen Hans Ernst Schneider und in der Funktion eines SS-Hauptsturmführers für Heinrich Himmlers »Ahnenerbe« insbesondere in den sogenannten »germanischen Bruderländern« mit der Verbreitung der großdeutschen Vision und der Organisation niederländischer Nazizeitschriften und anderer »strukturbildender Maßnahmen« im Bereich Kultur beschäftigt - und das auch ziemlich erfolgreich. Aus der mittlerweile detaillierten historischen Rekonstruktion der Umtriebigkeit Schneiders ergibt sich das Bild eines reisenden PR- und Maketingberaters in Sachen Nationalsozialismus, eines hochgebildeten Botschafters der völ-kischen Idee mit dem Schwerpunkt »Volkskultur« bzw. dem, was die Nazis eben darunter verstehen wollten. Die Fakten: 1937 wechselt der 1909 in Königsberg geborene promovierte Germanist Schneider aus vermutlich karrieretechnischen Gründen von der SA zur SS, ein Jahr später folgt die Berufung ins »Rasse- und Siedlungshauptamt Berlin«, dem Ausgangspunkt seiner künftigen Fahrten an die germanische Peripherie. 1943 soll Schneider vom »Institut für Wehrwissenschaftliche Zweckforschung« des »Ahnenerbe« mit der Be-schaffung medizinischer Geräte aus der Universität Leyden beauftragt worden sein, die zum Einsatz bei terminalen Versuchen in KZ Dachau vorgesehen gewesen seien, was Schneiderschwerte heftig bestreitet - bei gleichzeitiger Einräumung von Erinnerungslücken.- Die Erinnerung an die geradezu epidemisch auftretende Erinnerungsschwäche von Alt- und Ex-Nazis weckt denn auch schon eher resignierte Langeweile denn Empörung.

Was nun den sicher nicht zufällig genau zur 50-jährigen Wiederkehr des Kriegsendes im Mai 1995 in den Medien lancierten »Fall Schwerte« so besonders spannend macht, ist nicht in erster Linie

• daß Schwerte als langjähriger Honorarprofessor an der Germanistik Salzburg regional bekannt ist.

• daß er unter neuem Namen und ein Jahr verjüngt erfolgreich eine zweite Karriere aufgebaut hat ; dafür gibt es - Ensetzen hin oder her - zahlreiche Beispiele vom Gemeindebeamten bis zum Universitätsprofessor.

• daß die Umstände seiner - wie er beabsichtigt hatte - kathartischen Wiedergeburt als Schwerte recht spektakulär waren: Fahrradfahrt vom zerbombten Berlin nach Lübeck, dort Organisation seines amtlichen Todes, später in München (Wieder-)heirat mit der »verwitweten« Frau Schneider, Adoption der eigenen Tochter. (Obwohl's mich schon brennend interessiert hätte: Wie hat er das seinen drei Kindern erklärt und wann? Auf meine Frage in einem persönlichen Gespräch im Mai 1997 antwortete er lediglich, er stünde mit seinen beiden Söhnen und der Tochter in bestem Einvernehmen. Dann - scheinbar ohne Zusammenhang: Keiner von ihnen sei leider ein »Geistesmensch« (wie er) geworden. Wen nimmt's wunder - bei soviel Brandgefahr im Kopf.)

• daß die Umstände von Schwertes Outing unzweifelhaft vom miesen Geruch von Erpressung, Drohung, feigem und/oder komplizenhaftem Stillhalten begleitet sind und als Stoff für einen brillanten Kriminalroman im akademischen Milieu à la Donna Leon oder Amanda Cross taugen würden.

Äußerst bemerkenswert an der Person Hans Schwertes/Schneiders ist vor allem die tiefgreifende weltanschauliche Veränderung, die - wie an seinen literaturwissenschaftlichen Arbeiten gut nachvollziehbar wird, keineswegs mit einem Mal vonstatten gegangen ist. Es ist, egal wie unsympathisch einer/m die spezifische Gebrochenheit dieser Persönlichkeit nun sein mag, eine schrittweise intellektuelle Aneignung eines demokratischen, humanistisch-bürgerlichen Fundaments im Geiste, der mit einer simp- len Jekyll & Hyde-Mythysierung sicher nicht Gerechtigkeit widerfährt. Schwertes Habilitationsschrift zu Goethes Faust (der Professor, der seine Seele dem Teufel verschreibt, logo!, sagt hier nicht nur der Hobby-Psychologe) ist einer der wichtigsten (und frühesten) Beiträge über ideologische Verzerrung und anerkannte (wie anerkennenswerte) Forschung im Bereich der ideologiekritischen Germanistik. Schwerte hat u. a. einen Lehrstuhl für deutsch-jüdische Literatur eingerichtet. In seiner Zeit als Rektor in Aachen war er respektierter und wohl auch beliebter Gesprächspartner mit offenem Ohr für die Positionen der rührigen 68er. In seinen Lehrveranstaltungenbeeindruckte er durch selbstsichere, aber nicht autoritär vermittelte Kompetenz.

Selbstsicher. Wer dem mittlerweile 88-jährigen im zurückhaltende Noblesse ausstrahlenden Wohnstift Marienbad im Chiemgau gegenübersitzt, wird diese Eigenschaft nicht mehr leicht mit ihm in Verbindung denken können.

Unsere Begegnungen zwei Jahre nach dem Outing waren von meiner Seite vom illusorischen Wunsch geprägt, Schwerte wollte und könnte über die Geschichte seiner »Verdoppelung« Auskunft geben, könnte wenigstens etwas von dem erklären, was denen, die ihn »kannten«, als Kollegen, Bekannten, Lehrer, Wissenschafter, so unerklärlich, schier unmöglich schien im ersten Moment. Abwehr, abgrundtiefe Enttäuschung, Zorn, Ratlosigkeit bis hin zur Befriedigung, daß es »so einen« doch noch in so fortgeschrittenem Lebensalter »erwischt« hat - eine breite emotionale Palette an Reaktionen, die sogar noch durch den neutralisierenden Filter des »sachorientierten« Printmediums hindurch deutlich spürbar wurden.

Schwerte selbst freilich, umgeben von einem kleinen Teil seiner persönlichen Bibliothek, die drei Viertel der Wände in der geräumigen Garconniere des Seniorenheims bedeckt, fehlen die Worte: Was er sagt, ist nicht sehr viel mehr und um weniges substantieller als das, was von diversen Pflichtversessenen und ansonsten auffallend vergeßlichen Damen und Herren mit ähnlich ungünstigen Jahrgängen zu hören war. Daß Schwerte mit dem unsanft wiedererweckten Schneider nicht leben kann und will, ist unübersehbar. So scheint es auch vielmehr dessen ungeliebte Nähe zu sein, die ihn bedrückt und überfordert als etwaige Schuldgefühle. Sein Lebensgebäude als Schwerte steht möglicherweise auf einer Basis »tätiger Reue«, der Idee einer Wiedergutmachung, die freundlicher weise dem vormaligen Schreibtischtäter erstens Diskretion und zweitens eine ansehnliche Karriere eingeräumt hat.

So konnte auch ein äußerst schonendes und defensives Gesprächsverhalten Schwertes Mißtrauen und Vorsicht nicht wirklich aufweichen - im nachhinein betrachtet eine folgerichtige Verhaltensweise. Diese Konsequenz dieses Lebens in Bruchstücken scheint in einer verlorenen Selbstgewißheit, einer Selbstentfremdung zu bestehen, durchzogen von Momenten bedauernder Einsicht, kaum verhehlten und schwer erträglichen Selbstmitleids und trotzigen Beharrens auf der letztlichen »Richtigkeit« seiner Entscheidung, für ein »neues und besseres Deutschland« zu arbeiten. Schwerte hat sich dabei ganz enorm verdient gemacht, was den Verdacht, es sei ihm doch sehr um seine persönliche Position im Establishment, um ein lebenslang mit viel Einsatz erworbenes »Dabeisein«, gegangen, jedoch nicht ausräumt. Aber eben: Auch. Wie an wenigen Lebensläufen wird an diesem sichtbar, daß mit einfachen Erklärungen keine Erkenntnis gewonnen werden kann. Ein brisanter und lang nachwirkender Moment in unserem Gespräch ist derjenige von Schwertes Frage: »Vor wem hätte ich denn bekennen sollen?« Ich muß zugeben, darauf keine Antwort zu wissen. Die - vor allem in Deutschland geführten - Diskussionen kreisten häufig lange um die Frage nach den Hauptmotiven in Schwertes Werdegang, verkürzt zur Frage nach der »eigentlichen, wahren Identität« des Mannes. Eine Frage, die zum Scheitern verurteilt ist und viel eher ein Licht auf die Hilflosigkeit der Fragesteller zu werfen geeignet scheint: Das Bedürfnis nach Eindeutigkeit bricht sich gerade dann deutlich Bahn, wenn ein Bekennen (vorläufiger) Ratlosigkeit viel sinnvoller und wahrer wäre. In diesem Sinn deute ich auch die merkwürdige Diskussion darüber, ob man Schwerte nun seine - tatsächlich erworbenen - akademischen Titel aberkennen sollte. Irgendwie mengen sich auf unheilvolle Weise das Bedürfnis nach Begreifen und Sanktionen-Setzen-wollen. Unheilvoll, wiewohl völlig verständlich, weil das eine das andere behindert. Schwerte selbst wird nach meiner Einschätzung nicht viel zur Erhellung beitragen.

Die Nähe des »Guten« zum Bösen, verkörpert in der unerwarteten Wiedervereinigung Schwerte-Schneider ,irrtiert zutiefst. Dabei ist ein Fundament unserer Gesellschaft genau diese Nähe zum »Bösen«, die durch einige wenige variable Anpassungsleistungen sozialverträglich gemacht, verdeckt wurde, um den »Befleckten« ohne Probleme zu einem integrierten - und wenn es die soziale Hierarchie vorsieht - auch einflußreichen Mitglied der (Nachkriegs-) Gesellschaft umzubauen. Das Leben mit Abspaltungen, das sich an Schwerteschneider so spektakulär entdeckt hat, ist für die Kriegsgeneration Normalität. Normalität für die breite Masse der nachfolgenden Generation ist folglich die Existenz irgendeines Großonkels, der SSler war, eines Großvaters als Blockwart, Mann der Tante Mizzi: Ortsbauernführer, gefallen oder nicht, eine Oma, die behauptet, die Juden wären von Partisanen geholt worden. Normal ist das Schweigen - auch politisch wache Menschen wissen wenig über die eigene Sippe - geredet wird nicht, und daß man zumindest in der eigenen Familie nicht fragen, sondern besser mitbeschönigen soll, hat man mit der Muttermilch aufgesogen und merkt es deshalb auch nicht sehr. Und außerdem sind Omi und Opi ja lieb zu den Enkeln. Wie immer bestätigen Ausnahmen die Regel.

Während zum Fall Schwerte verschiedene deutsche Universitäten intensivst, kontrovers und öffentlich diskutierten, namhafte WissenschafterInnen recherchierten und publizierten, ist es in Österreich wieder einmal auffallend still geblieben. Warum? Von einzelnen Wort- meldungen und Recherchen engagierter Menschen abgesehen nichts, von der Universität Salzburg einige formelhafte Phrasen des Bedauerns und Beteuerns. Der tiefen und vielschichtigen Irritation, die ein Lebenslauf wie der Prof. Schwertes ausgelöst haben muß, wird - wieder und bis zum Überdruß - mit kollektivem Beschweigen begegnet. Schonung ist angesagt. Vor allem Selbstschonung. Manch eine/r sollte sich schon fragen, welche und wessen österreichische Übereinkünfte er/sie da fortsetzt - in aller vermeintlichen Unschuld.

Literatur:

H. König/W. Kuhlmann/K. Schwabe (Hrsg.):

Vertuschte Vergangenheit. Der Fall Schwerte und die NS-Vergangenheit der deutschen Hochschulen

München 1997