april 1998

Mario Jandrokovic

Welttheater Manege

Que-Cir-Que. Die Nouvelle Vague des Circus gastiert im Salzburger Volksgarten

Zirkus? - Nein, Circus, berichtigt Georg Daxner, wenn er über eine seiner großen Leidenschaften spricht, die in jenem großen Zelt Gestalt bekommen hat, das er vor einigen Jahren erworben hat und das von Zeit zu Zeit den Salzburger Kulturkalender bereichert. Das Zelt bedeutet für Daxner »einen der genialsten Räume für Veranstaltungen«. Anstatt der Bühne in Form des üblichen Guckkastens, das eine Blickachse aufnötigt, stellt sich die Welt in der Zirkus-Arena tatsächlich rund dar. Für Szenisches und ebenso für Musikalisches oder Filmisches bedeutet diese Art der Bühne eine besondere Herausforderung. Vor allem aber reizt den Zeltinhaber und -vermieter das Prinzip des Nomadischen. Ein »Kulturhaus« einfach am richtigen Ort zur richtigen Zeit aufstellen zu können, diese Mobilität hat nicht zuletzt auch zur Folge, daß der bürokratische Aufwand, der den Institutionen allzu leicht zur Last wird, automatisch niedriggehalten wird. Deshalb habe auch das Theater Ubu, mit dem Daxner häufig zusammenarbeitet, keine fixe Spielstätte.

Die Wurzel von Daxners Liebe zum Zirkus liegt gewiß in einem Umfeld und einer Zeit der Demos und Aktionen, als die Sponti-Manifestationen von Theater eine weit größere Rolle spielten als bloß jene der wohldosierten kulturellen Erbauung. Daxner war seinerzeit im »Gegenlicht« involviert und bei der ARGE Rainberg dabei; in der Frühzeit des Kulturgeländes hatte er unterschiedliche Funktionen inne, unter anderem kümmerte er sich auch ums Veranstaltungsprogramm. Es waren die späten Achtziger, als der Spruch »Züri brennt, Salzburg pennt« noch in den Köpfen herumspukte, da folgte er dem »Theater Federlos« einer gemeinsamen Produktion wegen für einige Monate in die Rote Fabrik nach Zürich, um sich an-schließend auf eine Tournee durch die Schweiz und Westösterreich zu begeben.

In jenen Tagen, als europaweit gleichsam in einer großen Welle freie Kulturzentren gegründet wurden, war auch die Geburtsstunde eines neuen Circus (mit eben dieser Schreibweise); die »Manege«, und sei diese bloß die Straße, wurde als ein Forum wiederentdeckt, das eine verkorkste Hermeneutik des Theaters zu durchbrechen vermochte; »street credibility« würde es im heutigen Wortschatz heißen. Offensichtlich parallel entstand weltweit dieser neue Circus, der ohne Kapellen, pompös geschmückte Pferde und Raubtiere auskam. In Au-stralien entstand der »Circus Oz«, in Berlin »Gosh«. In Montreal wurde aus einem Straßentheater der »Cirque de Soleil«, der inzwischen zum Konzern mit 900 MitarbeiterInnen geworden ist. Ein Spektakel von diesen Ausmaßen reize ihn nicht, sagt Daxner, die KünstlerInnen seien dort einfach austauschbar. »Que-Cir-Que«, die nunmehr im Salzburger Volksgarten gastieren werden, sind dagegen eine fest verschweißte Gemeinschaft, die seit nunmehr fünfzehn Jahren gemeinsam lebt und arbeitet, die sich in der Dreierformation seit 1993 fünf Tage die Woche aufeinander einspielt. Ihre Auftritte können nur relativ kurzfristig gebucht werden - zu groß sind die physischen wie psychischen Anforderungen dieser Truppe, als daß »Que-Cir-Que« zu weit im voraus planen möchte.

Dieser Circus ist ein Kind der Ära von Kultusminister Jack Lang, der während der Präsidentschaft von Mitterrand das kulturelle Leben und Selbstverständnis Frankreichs nachhaltig veränderte. Lang hatte den Circus als Kunstform etabliert, indem auf seine Initiative in Chalons-sur-Marne nahe Paris eine Circusschule gegründet wurde, in der junge Artistikschüler Pappnasen, Tieren und den üblichen Hochseilakten den Rücken kehrten. Im Umfeld der Schule entstand »Cirque O«, eine fünfköpfige Truppe, die höchste Präzision, traumtänzerische Selbstvergessenheit und die Energie des Chaos auf das wundersamste und wunderbarste zu verbinden wußte. Nachdem einer von ihnen dem psychischen Druck aus harter Arbeit und Erfolg nicht mehr gewachsen war, dauerte es gut ein Jahr, ehe sich aus drei Mitgliedern - Emmanuelle Jacqueline, Jean-Paul Lefeuvre und Hyacinthe Reisch - die Truppe mit dem bezeichnenden, nach einer unendlichen Schleife anmutenden Namen »Que-Cir-Que«, formierte. Die drei erfassen den runden Raum, das Abbild der Welt, mit der Sprache ihrer Körper. Der Holzmasten in der Mitte tritt als vierter Protagonist auf, wenn die physischen Grenzen zwischen Organischem und lebloser Materie, die Grenzen zwischen Akrobatik und eines richtiggehend bildhauerischen Besitz-ergreifens von Raum zu verschwimmen beginnen. Jede Geste, jede Bewegung sitzt und fließt doch gleichzeitig über in die nächste. So erzählen »Que-Cir-Que» jene Geschichten voll Leidenschaft, Witz und Schönheit, aus denen großes Theater gemacht ist.