april 1998

Gerald Gröchenig
titel

Radiofrühling in Österreich

Können die »Freien Radios« ihre Frequenzen und Chancen nutzen?

Die Vorgeschichte

In den 70er und 80er Jahren sind in den meisten europäischen Ländern die Rundfunkmonopole gefallen. Nicht so in Österreich, wegen seiner staatlich verordneten ORF Vorherrschaft auch gerne als mediales Albanien tituliert. Hier versuchten ORF und Zeitungsverleger in trauter Eintracht ihre Macht zu halten, um schon ja nicht andere als die eigenen Interessen im öffentlichen Diskurs aufscheinen zu lassen. Ein erster Entwurf eines Regionalradiogesetzes, 1993 von SPÖ und ÖVP durchgepeitscht, diente auch eher der Sicherung bestehender Machtmonopole denn einer Öffnung der Radiolandschaft.

Am 24. Nov. 1993 war die Zeit der Monopole jedenfalls abgelaufen: Der Europäische Gerichtshof gab den Beschwerden von Regionalradiobetreibern recht, daß durch das Rundfunkmonopol die durch Artikel 10 der Menschenrechtskonvention gewährleistete Meinungsfreiheit verletzt werde. Trotz dieses Erkenntnisses aus Straßburg paßte der nächste Geset-zesentwurf 1995 wieder nicht und fand diesmal vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof ein unrühmliches Ende, als der einige Punkte daraus aufhob. Erst mit der 1997 erfolgten Novellierung bot der Gesetzgeber jene rechtlichen Grundlagen, nach denen ab April des heurigen Jahres eine vielfache private Konkurrenz für den ORF möglich ist.

Regional- und Lokalradios

Pro Bundesland (ausgenommen Wien, dort sind es zwei) darf nun ein Regionalradio landesweit senden (der Empfang soll »möglichst großflächig innerhalb eines Bundeslandes möglich sein«). Lokalradios soll man in örtlich begrenzten Teilen, einer Gemeinde, oder in einem zusammenhängenden Gebiet mit höchstens 150.000 Einwohnern laut Gesetz empfangen können. Um die freien Frequenzen konnte man sich bewerben, sie wurden schließlich von der Regionalradiobehörde mittels Bescheid zugewiesen. Rund 400 Anträge wurden gestellt, 50 Projekte wurden letztendlich im November des vorigen Jahres bewilligt. Und so wird nun bald eine illustre Schar von Konsortien (in denen Banken, Zeitungen, Verlage und Agenturen ihre Anteile gesichert haben), Kirchenradios und Einzelgängern (z. B. Radio Grizzly des ehemaligen Schirennfahrers Werner Grissmann) mit Zeitgeist, Gebet und Verkehrsfunk die Medienlandschaft Österreichs bereichern und um lokale Werbemärkte rittern.

Freie, nicht kommerzielle Lokalradios

Unter den 50 Bewilligungen sind auch neun für sog. »Freie Radios«, die in Zukunft die ca. 2.000 »Freien« oder »Community Radios« in Europa bereichern werden. Diese erhielten ihre Sendelizenz vor allem deshalb, weil ihre Arbeit zu mehr Außenpluralität und größerer Meinungsvielfalt beiträgt und Personengruppen berücksichtigt, denen in einem kommerziell orientierten Radio kaum Platz zur Artikulation geboten wird, wie z. B. soziale, kulturelle, ethnische oder andere Minderheiten. Sie sollen Offenheit repräsentieren und zur BürgerInnenbeteiligung beitragen. Als Aushängeschild für die österreichischen »Freien« gilt Radio FRO in Linz, das seine Lizenz gegen zehn Mitbewerber, darunter zwei FP-nahe Gruppierungen, erstritt. Ausschlaggebend hierfür waren mehrere Faktoren. So konnten die Betreiber mit einer breiten Unterstützung aus Kunst, Kultur, Bildung, Sozialem und Politik aufwarten. Man hatte bereits einen erfolgreichen Probebetrieb via Kabel hinter sich (259 Stunden und 38 Minuten Programm), in Workshops wurden und werden Multiplikatoren für die Radioarbeit ausgebildet und damit die Basis für die Mitarbeit verbreitert. Mit dem ORF hat man bereits im Rahmen des Kunstradios für die Dokumenta X kooperiert, und ob dieser breiten Basis setzten sich zuletzt sogar Stadt und Land bei der Regionalradiobehörde für die Zuerkennung der zweiten Linzer Lokalfrequenz an Radio FRO ein.

Doch nicht alle nichtkommerziellen Radios in Österreich können mit derartigen Vorarbeiten und Credits aufwarten.

Stolpersteine

Die größten Gefahren für die neun »Freien«, deren Schaffen natürlich von Beginn an von ausgebooteten Mitbewerbern wie auch von der Politik genau verfolgt werden wird, lauern dort, wo man auf keine gewachsene Trägerschaft zurückgreifen kann. Wo nämlich die Authentizität des »Radios von unten« fehlt, kann man auch durch Technik fehlende Inhalte nicht kompensieren. Und die recherchierten Minderheitenprogramme macht immer noch der ORF am besten.

Schlimm kann's auch werden, wenn sich frischgebackene Radiomacher zu sehr am großen Bruder ORF orientieren: die FM4 Verschnitte, die Radio FRO im Vorjahr zu einer Präsentation in die Arge als Fallbeispiele mitgebracht hatte, liegen den Beteiligten noch heute im Magen.

Daneben warten noch Akzeptanz-, Qualitäts-, Personal-, Finanzierungs- und Branchenprobleme sowie eigene Fehleinschätzungen (Das Senden in Programmfenstern von kommerziellen Lokalsendern ist z. B. in Deutschland laut Medienwissenschafterin Johanna Dorer durchgehend gescheitert, da man doch nur eine Störung für die Werbetauglichkeit darstellte).

Für den Kampf um die Gelder - immerhin will man mittelfristig 50% der Kosten selbst einspielen - gibt es genügend Modelle, die zwischen staatlicher und privater Förderung angesiedelt sind. Hörer, Wirtschaft und Programmacher könnten zu Zahlungen für »ihr« Radio motiviert werden. Die Hörer müssen aber erst einmal gefunden werden (gesendet ist noch lange nicht gehört), die leidige Sponsoringdebatte hat schon im Kulturbereich gezeigt, daß man in unseren Breiten mit daraus lukrierten Beträgen nicht rechnen darf. Und wenn man für die eigenen Sendebeiträge - wenn auch geringfügig - zur Kassa gebeten wird, so besteht die Gefahr, daß verstärkt die produzieren, die es sich auch leisten können.

Trotz allen Problemen: Gerade weil die Liberalisierung des Rundfunks in Österreich so spät kommt, sind die »Freien Radios« so wichtig. Und sie können und müssen immer auch Experiment bleiben und in sich die Möglichkeit eines Scheiterns beinhalten.

Die Crux mit den Förderungen

Größtes Problem bei den öffentlichen Förderungen dürfte es wohl sein, daß es bis heute noch keine realistische Einschätzung des Finanzbedarfs für den Betrieb der »Freien« gibt. So wurde den nichtkommerziellen Radios zwar von politischer Seite die Lizenz zum Senden erteilt, Expertisen dar-über, was dieser demokratiepolitische Auftrag kosten und wie dies bedeckt werden könnte, gibt es nicht. Auch fehlen noch sämtliche rechtlichen Grundlagen, auf deren Basis Förderungen überhaupt bewilligt werden könnten. In einem »verwaltungsorganisatorischen Koordinierungsgespräch« auf Beamtenebene wurde von Seiten des Bundes die Zuständigkeit für die »Freien Radios« der Kunstsektion im Bundeskanzleramt zugewiesen. Staatssekretär Wittmann stellte bei einem Gespräch in Linz im Februar ‘98 dann auch gleich sieben Millionen in Aussicht, woher die allerdings kommen sollen, sagte er nicht. Wieder einmal wurde die Abt. II/8 - zuständig für Kulturinitiativen - ins Spiel gebracht, die, ohnehin unterdotiert, nun auch noch die »Freien Radios« fördern soll. Daß Wittmann den Schwarzen Peter für Investitionen (weitere neun Millionen) an Finanzminister Edlinger weitergab, ohne daß entsprechende Gespräche geführt wurden, wird von den Betreibern als Vertröstungsvariante interpretiert. So werden nun unter Zeitdruck Lösungen gesucht, die allein schon wegen der fehlenden Gelegenheiten zu Gesprächen oder zum Nachdenken nicht optimal sein können: vielleicht wäre man bei längeren und breiter gestreuten Diskussionen auf die Idee gekommen, z. B. bei der Presseförderung einen Fond für Freie Meinungsbildung einzurichten und daraus die demokratiepolitisch wichtigen Radioprojekte zu fördern. Doch nachdem man mit dem Demokratisierungsschub selbst 20 Jahre zu spät kommt, hechelt man auch mit allen anderen gesetzlichen Agenden der Entwicklung hinterdrein: Drei Wochen vor Beginn des Sendebetriebs von der gesetzlich vorgesehenen »Kommission zur Wahrung des Regionalradiogesetzes« noch weit und breit nichts zu sehen (obwohl sie wegen der Verkaufsintentionen des Salzburger Regionalsenders »Radio Melody« bereits dringend benötigt wird).

Daß sich Bund, Länder und Gemeinden die Förderungen teilen sollen, macht die Sache auch nicht leichter: Lokalpolitiker wissen, daß ihre Klientel unter den Betreibern kommerzieller Lokalradios (zwischen Raika und Bank Austria) schon in den Löchern scharrt, um in diesem Falle für ihre »kulturellen« Programmanteile ebenfalls Förderungen zu lukrieren.

In den Löchern scharren natürlich auch die Zu-Kurz-Gekommenen, denen diesmal keine Frequenz zuerkannt wurde, und die natürlich mit Beschwerden - u. a. auch gegen Radio FRO - die Bescheide beeinspruchten. Dr. Michael Krüger, Rechtsanwalt, freiheitlicher Kultursprecher und Rechtsvertreter einiger Frequenzbewerber erklärte in Linz ausführlich, worauf diesmal die Beschwerden fußen: Das Recht auf freie Meinungsäußerung sei noch immer nicht gegeben, die Vormacht des ORF mit vier bundesweiten Kanälen sei weiterhin betoniert, die Aufteilung von regional und lokal sei willkürlich und das Grundrecht auf Erwerbsfreiheit eingeschränkt. Und durch die Förderung der »Freien Radios« ist die Wettbewerbsgleichheit nicht gegeben (Originalzitat Krüger: »Die einen werden aufgepäppelt durch die öffentliche Hand, die andern können sich durch Werbung selber finanzieren«). Doch hochgepäppelt werden auch andere: In vielen dieser Kommerzsender sitzen Medienkonzerne (Mediaprint, Presse, News,...) als Teilhaber, die sich erst durch die nicht gerade geringe staatliche Presseförderung ihr Engagement in anderen Medienbereichen leisten können.

Den Beschwerden beim Verfassungsgerichtshof wurde diesmal - anders als 1995 - keine aufschiebende Wirkung zuerkannt, ab 1. April darf gesendet werden.

Wie auch immer entschieden wird, bei dieser neuen Vielfalt bleibt allen, Bewerbern wie Betreibern, ein Trost: In der Not kann man immer noch eine Sendegemeinschaft mit Radio Steph-ansdom bilden, um via Äther live bei der allerobersten Radiobehörde für eine Frequenz zu beten.

Literaturtips:

JOHANNA DORER/ALEXANDER BARASITS (Hg.): Radiokultur von morgen. Ansichten, Aussichten, Alternativen. Buchkultur Verlagsges.m.b.H. Wien, 1995.

KLEMENS GRUBER: Die zerstreute Avantgarde. Strategische Kommunikation im Italien der 70er Jahre. Böhlau Verlag 1989. (Rezension siehe »Gelesen« in dieser Kunstfehler Ausgabe)

Salzburgs Privatradios:

* Welle 1

Lizenz: Großraum Salzburg

Kasernstraße 3, Postfach 20

5072 Wals

Tel.:0662/8966-0

Sendestart: 1. April, seit 1997 Kabelbetrieb

* Welle Alpin

Lizenz: Lungau, Pinzgau, Pongau

Dreifalitgkeitsgasse 6

5700 Zell am See

Tel.: 06542/72730

Sendestart: 1. April

* Radio Melody

Lizenz: Land Salzburg

Bessarabierstraße 83

5020 Salzburg

Tel.: 0662/4080-0

Sendestart: November 1995

* Arabella Salzburg

Lizenz: Großraum Salzburg

Petersbrunnstraße 17a

5020 Salzburg

Tel.: 0662/431576

Sendestart: nicht fixiert