april 1998

Didi Neidhart
gehört

PERE UBU Pennsylvania

(Cooking Vinyl/Hoanzl)

Knapp 20 Jahre nach dem epochalen Debut »The Modern Dance« ist Pere Ubus elektrisierende Mischung aus Rock’n’Roll, krudem Synthie-Noise und befremdlichen Moritaten (immer kurz vor/nach dem Ausbruch aus der Zwangsjacke) immer noch eine der unbeschreiblichsten und wichtigsten Optionen dessen, was unter dem Begriff »Avant-Garage« gehandelt wird. Wobei es hier weniger um Pere Ubu-Spezifika (Rock, Country & Western treffen auf elektronische Smog-Sounds) geht, als um die Art und Weise wie diese Bestandteile hier zusammengepreßt werden. Wenn sich Wortakrobat David Thomas durch ein schier babylonisches Sprach/Wortgewirr schlängelt, das gerade wegen seines entrückten Charakters der Wucht und Komprimiertheit der Musik (Punk ohne Ablaufdatum) noch eins draufsetzt, dann bekommt man auch eine Ahnung davon, wie man sich so eine »Ubu Dance Party« vorzustellen hat. Nicht als Post/College-Rock-Blaupause, sondern als urbanen Folk-Dance im Zeitalter seiner digitalen Zerlegbarheit. Oder wie es am Cover steht: »File Under: Popular«.

TORTOISE

TNT (City Slang/Ixthuluh)

Auf seiner dritten regulären CD präsentiert sich das Chicagoer Musikerkollektiv Tortoise, das für viele den Inbegriff des Post-Rock darstellt, als konsolidierte Größe, ohne sich dabei jedoch auf Altbekanntem auszuruhen. Viel eher hat ihr Mix aus Kollektivimprovisationen, digitalen Nachbearbeitungen, Krautrock-, Dub-, Electronica- und Exotica Listening-Einflüssen mittlerweile eine unbekümmerte Leichtigkeit erreicht, die es ihnen auch erlaubt tief in regelrecht romantische Postkartenidyllen imaginärer Filmsoundtracks einzutauchen. Passieren doch gleichzeitig komplexe Transformationen von Stilen und Genres, bei denen veränderte Hörgewohnheiten zu veränderten Spielgewohnheiten werden. Soll heißen, bei Tortoise verstehen sich Musiker weniger als autarke Originalgenies, denn als Rohstofflieferanten, die schon mit dem Mischpult im Bewußtsein spielen. Ein locker gejammter Groove wird so entweder durch einem Mouseclick oder aus einer Live-Konfrontation gegensätzlicher Systeme zu einer Electro-Jungle-Abstraktion. Für Tortoise das scheinbar normalste auf der Welt. Auch deshalb eines der besten und wichtigsten Statements zu den Möglichkeiten aktueller Rock(?)-Musik.