april 1998

Mario Jandrokovic

»Kirche ist keine Gegenveranstaltung«

Die evangelische Kirche, eine Minderheit

In einem - bei allen Spuren von Operetten-Glamour - doch recht verhaltenem Präsidentschaftswahlkampf kam einiges in Bewegung, nachdem Gertraud Knoll ihre Kandidatur für das höchste Amt im Staat bekanntgegeben hatte. Der frische Wind, um den die burgenländische Superintendentin das laue Lüftchen der Wahlwerbung ergänzte, war auch begleitet von der bangen Frage, inwiefern ein kirchliches und ein politisches Amt vereinbar wären. Die Sorge ist in einem Land, wo die Verquickung von staatlichem Regime und der katholischen Kirche gar nicht so ferne Vergangenheit ist, wohl berechtigt.

Wobei die Evangelischen immer auch Opfer des Katholizismus waren. In der Zeit des Austrofaschismus etwa waren nicht nur VertreterInnen der Arbeiterbewegung Repressalien ausgesetzt. Auch diejenigen, die sich zum evangelischen Glauben bekannten, lebten in einem Klima, das stark von religiöser Intoleranz geprägt war.

In Salzburg selbst wurde überhaupt eines der finstersten Kapitel jüngster Kirchengeschichte geschrieben. 1731 wurden die Anhänger Luthers allesamt von ihrem Besitz und aus dem Land vertrieben. In Tirol kam es noch im 19. Jahrhundert zu Protestantenvertreibungen. Die Gleichstellung der evangelischen Kirche mit der katholischen erfolgte hierzulande erst 1962(!), begleitet von den Entschuldigungsbitten zweier Salzburger Erzbischöfe.

Von der Isolation zum Widerstand

Bis vor wenigen Jahren agierte die religiöse Minderheit dann auch in Zurückgezogenheit und Zurückhaltung. Zuletzt hat die Glaubensgemeinschaft in der Öffentlichkeit jedoch Aufmerksamkeit erregt, weil sie in umstrittenen gesellschaftlichen Fragen offen für die Schwächeren Partei ergriffen hatte. So hatte sie etwa ihre Hauptkirche in der Wiener Innenstadt für die von Homosexuellen gestalteten »Junia«-Gottesdienste geöffnet oder in Salzburg mit aller Vehemenz gegen die unmenschlichen Bedingungen in der Schubhaft protestiert und sich auch der Betreuung der auf ihre Abschiebung Wartenden angenommen. Und etwas weniger als ein Jahr ist es her, daß Knoll in einer »Pressestunde« über das damals neue Asylgesetz sagte, es sei in Sachen Menschlichkeit nicht mutig, sie halte es für feige. Zu jener Zeit fanden bei der evangelischen Funktionärin sechs afghanische Flüchtlingskinder Aufnahme, deren Asylantrag in zweiter Instanz abgelehnt worden war.

Vor rund fünf Jahren hat die evangelische Glaubensgemeinschaft diesen Schritt aus der selbstgewählten Isolation vollzogen. Pfarrer Volker Toth, Leiter der evangelischen Diakonie Salzburg - ein selbstverwalteter Verein, der sich gerade in Bildungs- und Sozialfragen hervorgetan hat - sieht es auch als Aufgabe einer Glaubensgemeinschaft, in aktiven Widerstand gegen herrschende Systeme zu treten, soferne dieser Widerstand ein gewaltloser, argumentativer bleibe. Es gehe nicht darum, sein Gegenüber politisch-ideologisch zu diffamieren, sondern einen Diskussionsprozeß auszuloten und diesen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, so Toth: »Kirche ist nicht eine Veranstaltung einzelner Personen, die kraft irgendwelcher Ämter oder Weihen besondere Aussagen machen dürfen, Kirche ist der Prozeß einer Gruppe. Kirche geschieht in dieser Welt, sie ist für diese Welt und keine Gegenveranstaltung zu ihr.«

Aus dieser Weltsicht heraus hat die Diakonie in Salzburg ein vielbeachtetes integratives Schulmodell nach Montessori initiiert. Bei den (katholisch-konservativ dominierten; Anm.) Behörden freilich habe dieses Modell stets den linken Beigeschmack von Gesamtschule, erzählt Pfarrer Toth. Ein linkes Image haben die Protestanten hierzulande vor allem auch deswegen, weil sie immer wieder gegen die Aussagen der wehrhaften FPÖ-Christen Stellung bezogen hatten. Das war nicht immer so: Im ersten Drittel des Jahrhunderts gab es in der evangelischen Kirche nicht zuletzt als Reaktion auf den politischen Katholizismus viele SympathisantInnen großdeutscher Ideen. In der Zweiten Republik haben sich viele dann in der FPÖ wiedergetroffen. Als Protestanten hatten sie in der Volkspartei wenig Möglichkeiten.