april 1998

Doc Holliday

»Heartbreak Garage« - Die Architekten der Verzweiflung

Einige notwendige Anmerkungen zu Herkunft und Genese der Kultband PERE UBU. Oder: Eine Subgeschichte des Punk-Rock

»Wir sind Menschen, die nirgendwo hinpassen«, meint David Thomas, der Sänger und kreative Kopf von Pere Ubu. Tatsächlich oszilliert die Gruppe seit ihrer Gründung 1975 zwischen den Polen Underground und Main-stream, zwischen Rock und avantgardistischem Experiment im Kunstkontext. Darauf verweist auch der Bandname: benannt nach einer Figur des Franzosen Alfred Jarry, der als Vorläufer der Surrealisten und Dadaisten gilt und Ende des vorigen Jahrhunderts diese mythische, groteske Gestalt schuf. Der verschrobene Jarry erfand übrigens auch das überaus eigenartige Gedankengebilde der Pataphysik, das auf intellektuelle Spinner schon immer einen großen Einfluß ausgeübt hat. Als Beispiel höre man Soft Machines »Pataphysical Introduction«. Die Band Pere Ubu kommt aus Cleveland, einer im Nordosten des US-Bundesstaates Ohio gelegenen Industriestadt, in der etwa die Großkonzerne Standard Oil und US Steel beheimatet sind. Obwohl weiland schon Ian Hunter konstatierte, daß »Cleveland rockt«, ist doch weniger bekannt, daß etliche wichtige Musiker von dort stammen. Sargmeister Screamin`Jay Hawkins, die James Gang (Joe Walshs erste Combo), Nick Knox (der Drummer der Cramps), Free-Jazz-Größe Albert Ayler und Nine Inch Nails etwa. Dazu kommt die Proto-Punk-Szene der frühen 70er Jahre. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Krise, die insbesondere den sogenannten »Rust Belt« des Mittelwestens zu dieser Zeit heimsuchte, und Cleveland infolge der Fabrikschließungen und massenhafter Abwanderung in einen trostlosen und öden Industriefriedhof verwandelte, entwickelt sich eine kleine, aber lebendige und bis heute kaum bekannte Szene von kompromißlosen Lärmerregern und Provokateuren. 1972 etwa entstehen die ELECTRIC EELS, die wie ein Mutanten-Bastard von Captain Beefheart und MC 5 klingen. Mit nur wenigen Platten und Live-Shows werden sie zum (unbekannt gebliebenen) Vorläufer des 76er Punk und der Noise-Bands der 80er. Immerhin erweisen ihnen die australischen Beasts Of Bourbon über 1 Jahrzehnt später mit einer Coverversion des manischen »Agitatet« die Reverenz. Aus der Urbesetzung der nicht minder legendären ROCKET FROM THE TOMBS entwickeln sich die Flaggschiffe dieser Szene: zum einen die DEAD BOYS, die später nach New York ziehen sollten und eben PERE UBU. 1975 wird die Formation vom Gitarristen Peter Laughner und dem Sänger David Thomas, die beide bis dahin auch als Rockkritiker bei diversen Undergroundblättern tätig sind, gegründet. Das Repertoire besteht ursprünglich aus Coverversionen von Titeln der Stooges, Troggs, Seeds und Velvet Underground. Zu den beiden Anstiftern gesellen sich noch Tom Herman (g), Tim Wright (b, g), Scott Krauss (dr) und der Maler Allen Ravenstine (synth). Da man auf Grund mangelnder Auftrittsmöglichkeiten mit dem baldigen Zerbrechen der Band rechnet, nimmt man, quasi als Existenzbeweis, auf Thomas' Betreiben hin im September 75 die Single »30 Seconds Over Tokyo« auf, die noch im selben Jahr auf dem gruppeneigenen Label erscheint. Ein Meisterwerk, das eigentlich am Black Sabbath-Hadern »Electric Funeral« angelehnt ist, aber bereits DIE 2 wesentlichen Elemente der zukünftigen Pere Ubu-Musik enthält: die ständig zwischen Sprache und Gesang pendelnde Stimme (die, gemeinsam mit den zeitweiligen, freien Sax- und Klarinetten-Einlagen, die ewigen Captain Beefheart-Vergleiche erklären), und der Instrumentalsound, der mit seinen elektronischen Störeffekten, mit atonalen Klangeruptionen und einem permanent von Auflösung bedrohten Rhythmus scheinbar nichts anderes beabsichtigt, als dem verstörten Hörer den unbeschwerten Popkonsum zu vermiesen. In den beiden folgenden Jahren spielt die Band 3 weitere Single-Klassiker ein: eine Collage aus Sound-Partikeln von Velvet Underground/Hawkwind/Blue Cheer/frühen Roxy Music, zusammengehalten vom Fiepen des Synthies. Nicht nur die Musik entspricht der Unwirtlichkeit der Industrieruinen, auch die Texte sind voll dunkler Metaphorik: halluzinogene, seltsame Welten, die die Weigerung am »American Dream« teilzuhaben, brillant ausdrücken. »I don`t see anything I want«, heißt es in »Heart Of Darkness«, und das geniale »Final Solution« bringt mit den unvergesslichen Zeilen »Guitars gotta sound like a nuclear destruction« den gesamten Punk-Rock auf den Punkt. Aus der Bahn, ihr MTV-Ersatz-Punk-Klonen a la Green Day! Ursprünglich glaubte der Ubu-Vater nur an eine Band-Lebensdauer von einer Single. Inzwischen sind so etwa - je nach Zählweise - an die 14 Lps erschienen (die vielen Solo-Projekte von David Thomas nicht mitgerechnet). Gerade die vorletzte CD »Ray Gun Suitcase« (95) setzt sich wieder mit dem Klima auseinander, in dem die Gruppe 75 entstand. Man kann gespannt sein, wie die charismatische Bühnenpersönlichkeit David Thomas dies live umsetzen wird. Erstmalig in Salzburg zu überprüfen, am 13. 4. im Kulturgelände Nonntal!