mai 1998

Didi Neidhart
gelesen

Die Verkabelung Mitteleuropas

OLIVER MARCHART: Die Verkabelung Mitteleuropas. Medienguerilla - Netzkritik - Technopolitik. edition selene, 1998

Als unlängst die Schengen-EU-Innengrenzen zwischen Österreich und Italien fielen, konnte man ein ideologiepolitisches Paradoxon par excellence beobachten. Genau in dem Moment, wo (Mittel-)Europa grenzenlos wurde, wurde am Brenner der Wegfall der Grenzbalken als Geburtsstunde der neuen regionalen Souveränität Tirols in den »alten Grenzen« beschworen. Daß sich dieses neu erwachte Dorfkaiser-/Landesfürstentum auch in der techno-politischen Nutzung und Anwendung digitaler Netzhighways breitmacht, ist eine der Grundaussagen in Oliver Marcharts kritischem Technoreader. Ausgehend von einem Flyer des Danube Mega Rave '96, bei dem der »Kulturraum« Mitteleuropa ähnlich beschworen wird wie bei den Donauraum-Ideologen Busek und Otto Habsburg, stellt Marchart die »digitale Ideologie« des »Standorts Mitteleuropa« als südöstliche EU-Grenzziehung via Datenhighways dar. Auch im Cyberspace gilt: »Wer immer auf der westlichen Seite der Grenze ist, gehört zur abendländischen Kultur.« Dabei fungiert das Netz nicht nur als Puffer/Scharnier zwischen über- staatlicher EU (Stichwort »Kompetenzabgabe«) und dem bereits erwähnten Dorfkaiser-/Landesfürstentum (Stichwort »Europa der Regionen«), sondern im Falle Österreichs auch als digitale Wiederanbindung der »früheren östlichen Kolonien« an das ehemalige »Heartland« durch einen Hauptprovider, der von Wien aus u. a. Prag, Budapest, Bukarest, Zagreb, Ljublijana verkabelt. Um den Mythos des »elektronischen Widerstands« und das Grundproblem, daß abweichendes Verhalten immer schneller in und vom politisch-ideologischen Main- stream integrierbar ist, geht es hingegen im zweiten Teil des Bandes. Wobei 80er-Jahre Subversionsbegriffen (Pop-Dissidenz, Hacker-Romantizismen, Medien-Guerilla, etc.) eine klare, wenn auch stellenweise zu polemisch-verkürzte Abfuhr erteilt wird, da hier Begrifflichkeiten aus der Politik entlehnt werden, damit jedoch nicht reale Politik gemacht, sondern weiterhin nur auf symbolischen Ebenen (Kunst, Pop) agiert wird. Diesen Konzepten, die Terrains nur temporär besetzen, stellt Marchart die Forderung nach einem »gegenhegemonialen Block« entgegen. Ob diese nicht minoritäre »Gegenöffentlichkeit« durch permanentes Besetzen von Terrains jedoch wirklich die Möglichkeit zur Veränderung von Strukturen und des ideologischen Staatsapparats hat, bleibt offen. Impliziert dies doch, trotz differenter Kontexte, eine breite Kompromißbereitschaft, will man politische Handlungsfähigkeit erreichen.