mai 1998

Didi Neidhart
zu gast

Pere Ubu

Was bedeutet schon Zeit bei einer Band, die sich eigentlich nur für die Produktion einer Single zusammengefunden hatte, nun schon seit knapp 20 Jahren unterwegs ist und dabei stets aufs neue verunsichert? Allein der Versuch, Pere Ubu irgendeinem Genre zuzuordnen - egal ob Punk aus der »Avant-Garage« oder Post-Rock ist zum Scheitern verurteilt. Folgen Pere Ubu doch ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten, die sich vor allem aus Widersprüchlichkeiten, Paradoxien und dem Zusammentreffen offenbar verirrter, sich fehl am Platz befindlicher Riff- und Soundfragmente zusammensetzen. Ein harmonischer Crossover war noch nie das Ziel von Pere Ubu. Und so kann man sich auch stundenlang fragen, ob man jetzt verwitterte Riffs zwischen rudimentärem Folk und minimalistischem Punk in einem Industrial-Environment hört oder elektronische Störgeräusche zu massiven Irritationen bei einem Waldspaziergang beitragen. »Nichts ist wahr, alles ist erlaubt«, diese alte Weisheit des William Burroughs-Helden Hassan I Sabbah trifft auch auf die Musik von Pere Ubu zu, deren einziges Zentrum, so paradox dies auch klingen mag, David Thomas’ Wortverdrehungen und Vocalexperimente sind. Hier wird die Formel »Rock« nicht zu etwas, das man über Umwege, andere Kontexte umcodieren oder retten will (die »Postrock«-Debatte also), sondern dessen Funktion eigentlich nur darin liegt, als Klischee dafür zu sorgen, daß die ganze fragmentierte und frei flottierende Zeichen- und Buchstaben-Suppe nicht gänzlich zwischen den Polen Explosion - Implosion auseinanderfällt. Daß Pere Ubu dabei gänzlich ohne ironische Affirmationsspielchen auskommen (was nicht heißen soll, daß die Band keinen Humor besitzt - David Thomas schwingt schon mal das Tanzbein) macht sie zudem zu einer popkulturellen Ausnahmeerscheinung, die es so in den letzten 20 Jahren nicht oft gegeben hat. Da ist es auch nur konsequent, wenn ein jetlaggezeichneter David Thomas’ höflich aber bestimmt die Order »No interview, please!« ausgibt, im selben Atemzug aber zum Small-Talk an der Bar einlädt und gerade einmal kurz zustimmend brummt, wenn der ARGE-Gig als dann doch etwas zu straight beschrieben wird. Gänzlich ins Schwärmen kommen hingegen die restlichen Ubus, wenn es um das Kreativchaos der 70er Punk/Free-jazz/Rockabilly/New Wave-Szene in Cleveland/Ohio und dessen immer noch massiven Auswirkungen geht. Denn wo sich Elektronik und Rock, die Beach Boys und Albert Ayler nie gegenseitig ausgeschlossen haben, sind auch 1998 keine Verschleiß-erscheinungen zu bemängeln. Ganz abgesehen davon, daß man sich beim Rundblick durch die Backstage-ARGE-Live-Fotogalerie einstimmig auf die geistesverwandten Melvins als heißgeliebteste Band der 90er einigen konnte. In diesem Sinne: »C’mon, humor me!« (Pere Ubu 1978 und 1998)