mai 1998

Didi Neidhart

Zwischen Veltliner und Elektronik

Ein kultursoziologischer Trip durch das Waldviertel

Eine Kulturstättenwanderung der anderen Art gab es Anfang März im Herzen der Waldviertler Weingegend. Geladen hatte das eben dort beheimatete Elektronik-Label Laton Records, dessen Protagonisten Alois Huber und Franz Pomassl auch schon im Rahmen zweier »Sabotage«-Nächte beim Liquid Planet im Kulturgelände Nonntal gastierten. Unter dem Locktitel »Laton-Weintour« wurden befreundete Musiker und JournalistInnen eingeladen, die Geheimnisse des Weinbaus und dessen vermeintliche Auswirkungen auf die (ländlichen) Produktionsverhältnisse von avancierter elektronischer Musik vor Ort zu erkunden und kennenzulernen. Wer nun dachte, es würde sich hierbei um eine elektronisch untermalte Sauftour handeln, wurde jedoch eines Besseren belehrt.

Erst nach einer dreistündigen Einführung in die Waldviertler Urgeschichte (archäologische Ausgrabungen inklusive Museumsbesuch) bei gleichzeitiger Vorstellung eines Beschäftigungsprojekts für Langzeitarbeitslose (von Alois Huber längere Zeit als Sozialarbeiter betreut) ging es zum »Weinseminar« in den Keller von Toni Söllner. Zu zehn exzellenten Weinproben (Roter & Grüner Veltliner, Weißburgunder, Welschriesling, Silvaner) und ebensolchen Schmalzbroten gab es Einführungen in die Geheimnisse des Weinbaus (Ernte, Lagerung, Präsentation) sowie eine fein abgestimmte »Geschmacksschulung« für die zahlreich anwesenden BiertrinkerInnen. Natürlich wurde dabei auch das Thema Alkoholismus angesprochen, wobei Söllner durchaus 70% - 80% der Stammkundschaften als Alkoholiker bezeichnen würde, Dorffeste, bei denen auf den Antialk für die Ministranten vergessen wurde als Vollrausch-Initiationen beschrieb (nicht ohne den »Ministranten«-Wein vorher vom Pfarrer segnen zu lassen) und auch von Gemeinderatssitzungen in Weinkellern zu berichten wußte, bei denen wegen einer ins Schloß gefallenen Eingangstür die Volksvertreter erst am nächsten Tag von den suchenden Gattinnen gefunden wurden. Die Geheimnisse der Elektronik standen danach im FON-Bauernhof-Studio von Manfred Söllner & Hans Groiß auf dem Plan. Inmitten von diversem Elektrogerümpel, experimentellen Versuchsanordungen (Stahlwolle, Hochfrequenzspule, elektrischer Akkupunktur-Stab) und offenen Kabelsalaten wurde den staunenden BesucherInnen fachkundig erklärt, wie Satelliten-Receiver und Faxgeräte zu Synthesizern umgebaut werden können, um damit neue elektronische Musik zu produzieren. Regelrechten Symposiumscharakter hatte schließlich die Exkursion in Alois Hubers Weinkeller. Während im Nebenraum die Dorfjugend einen Falco-Tribute-Abend vorbereitete, wurden Synergie-Effekte zwischen elektronischen Arbeitsweisen und Weinbauspezifika, ländlichen Produktions- und urban-globalen Wirkungsstätten sowie die Auswirkungen des hypnotischen Brummens einer Weinpresse auf die brachialen Sounds der Laton-Infra-soundforschungen erörtert, in einem heftig diskutierten Impulsreferat der Frage nachgegangen, inwieweit veränderte Hörgewohnheiten zu veränderten Trinkgewohnheiten führen können und das seit Anbeginn der Weintour latent präsente Thema der Koexistenz von progressivem Elektronik-Underground und neofaschistischen Wehrsportübungen (wir reden immerhin von der Gegend um Langenlois) behandelt. Zum Ausklang gab es schließlich in der legendären Zwettler Disco »7 Up« Live-Sounds und DJing von Huber, Pomassl und den Linzer Gästen The Smiling Buddhas. Nach dem überaus großen Erfolg (einstündiges FM4-»Im Sumpf«-Feature) dieses kultursoziologischen Trips durch die verschiedendsten Aspekte und Verhältnisse, in denen und gegen die kulturelle und politische Arbeiten in nichturbanen, ländlich-dörflichen Regionen entstehen (können), sind die nächsten Touren (Mostviertel, Burgenland) schon in Planung.

P.S.: Söllner-Weine gibt es ab sofort bei jedem Liquid Planet!