mai 1998

Didi Neidhart

Wie fremd ist zu fremd?

Worldmusic und weiße Rezeptionsmuster

Zu den hartnäckigsten »Weltanschauungen« im links-alternativen Milieu gehört immer noch jene vom Rhythmus, den andere (vornehmliche Schwarze) »im Blut« bzw. mit der Muttermilch aufgesogen haben. Da helfen auch weder Verweise auf eine enge Geistesverwandtschaft zu braunen Bodensätzen noch der Umstand, daß die sozio-ökonomischen Verhältnisse, in denen ein Mensch aufwächst wohl prägender sein dürften, als so etwas wie Muttermilch.

Dennoch gehören diese Naturalisierungstendenzen immer noch zum begrifflichen wie ideologischen Kanon der Rezeption sogenannter Worldmusic. Gesucht wird eine reine Essenz, eine hygienisch einwandfreie Ursprünglichkeit ohne Fremdeinflüsse. Mit simpler »Zivilisationsflucht« hat der Ethnoboom jedoch nur oberflächlich zu tun. Geht es doch viel eher darum, sich selber (z. B. als weiße/r MitteleuropäerIn) durch das exotisch »Fremde« zu definieren. Entweder durch Abgrenzung (hier eher als positiv bewerteter, erstrebenswerter »Naturzustand« im Gegensatz zur eher negativ besetzten »Primitivität« verstanden) oder durch (Über-)Affirmation.

Ob dieser »Genuß des Fremden« nun durch Differenz oder durch Fusion (»Mein/e TanzpartnerIn ist AusländerIn«) geschieht, ist eigentlich nur eine Frage gradueller Unterscheidungen. Denn beide Strategien bedienen sich zur »Selbstfindung« des »Fremden«. Besser gesagt, bei einem Fleckerlteppich-Klischee des »Fremden«. Was bleibt, ist im schlimmsten Fall eine Art exotisch-folkloristischer Zoobesuch mit fest vorgefertigten Bildern über das »Wesen« und Erscheinungsbild des »Fremden«. (*)

Mit diesen Problemen hat auch Gottfried Schmuck, Leiter der ARGE-Kulturgelände-Veranstaltungsreihe »Global Village Sounds« zu kämpfen.

»Soweit es geht, will ich genau davon möglichst weit wegkommen. Es geht eher um das Öffnen neuer Wahrnehmungen und das Auflösen dieser ganzen Ethno-Begrifflichkeiten. Deshalb versuche ich auch immer wieder verschiedenste Strömungen oder Gruppen, die sich ja auch zwischen verschiedenen Kulturen und Zeiten bewegen, zu präsentieren. Es kann aber schon passieren, daß Künst-lerInnen, denen dieses Ethno-Korsett selber auch zu eng ist, das Publikum spalten, indem sie z. B. ein elektronisch verstärktes Set spielen oder einen Techno-DJ mithaben. Manche Leute im Publikum sind dann von solchen Verstößen gegen ihre Erwartungshaltungen wirklich schockiert. Es gibt auch im sogenannten linken, alternativen Umfeld einen nicht zu unterschätzenden Widerstand gegen das andere, das Fremde. Aber diese Ideologie des Ursprünglichen und Authentischen beruht sowieso auf einer Fiktion. All diese Stile sind über Jahrhunderte gewachsen und haben dabei immer von überallher Einflüsse mitverarbeitet. Warum sollte dieser Crossover gerade jetzt zugunsten musealer Traditionspflege aufgegeben werden? Nur weil er durch die globale Vernetzung beschleunigt wurde? Es ist gut, wenn die Entwicklung weg vom Purismus, aber auch weg vom Pop-Mainstreambrei geht, wo Worldmusic zur reinen Ornamentik reduziert und wirklich ausgebeutet wird.«

Daß das Bedürfnis nach Ethno-Reinheitsgeboten jedoch nach wie vor konstitutionierend für Multikulti-Rezeptionsmuster (alles schön bunt hier, aber bitte keine neuen Farben) sein dürfte, davon konnte man sich im März in der ARGE-Nonntal beim Gastspiel der Gruppe Beta Foly, bestehend aus zehn westafrikanischen Musikern sowie dem Grenzgänger Lukas Ligeti (Henry Kaiser, Elliott Sharp) und dem Electro-Wave-Pionier Kurt Dahlke (DAF, Der Plan) sogar selbst überzeugen. Nicht nur, weil das Konzept einer music in progress durch wechselseitiges Kommunizieren in Sachen Rhythmen & Sounds entlang der Schnittstellen analog/digital, Afrika/Europa wenig Publikumsresonanz erfuhr. Auch ein auf diesem Konzept basierender Workshop mit Beta Foly mußte abgesagt werden. Vielleicht lag es ja wirklich am »Fremdkörper« Elektronik. Immerhin stellte die Metamorphose eines afrikanischen zu einem Drum & Bass-Rhythmus - entgegen aller genealogischen Logik - auch einen stopartigen Bruch in der Publikumsmotorik dar.

Die Frage einer Kollegin, ob es sich bei einem Großteil der BesucherInnen von »Ethno«-Konzerte überhaupt um Musikfans handelt, mag vielleicht zuerst etwas elitär-spitzfindig klingen, be-kommt aber gerade durch die immer wieder praktizierte Nichtakzeptanz von Modellen, die aus dem Rahmen fest umrissener Stereotypen und Projektionsflächen herausfallen, Gewicht.

So meint auch Yao Herve, Bassist und »Orchesterchef« von Beta Foly, daß der Preis für eine problemlose Allgemeinzugänglichkeit jedweder Musik ihre Reduktion auf vorgefertigte Erwartungshaltungen wäre. »Es mag schon schwierig sein, das alles von sich aus zu hören, zu lesen und kapieren zu können. Aber wer keinen Jazz mag, versteht ihn auch nicht. Wenn bei Beta Foly die Afrikaner Stücke auf traditionelle Weise komponieren, kommen andere, modernere Komponenten erst danach hinzu. Dann geht es um Spannungen in beide Richtungen. Aber zuerst erklären wir den zwei Europäern, wo der Rhythmus oder das Stück herkommt, was für einen Sinn es hat und welches Volk es spielt. Afrikanische Musik basiert ja auf Rhythmik, und jede Trommel hat eine eigene Sprache. Es sind heilige, spirituelle Instrumente. Das war am Anfang schwierig, weil sie es nicht so einfach kapiert haben. Aber wir arbeiten jetzt seit vier Jahren zusammen, und jetzt verstehen sie wirklich, was wir meinen.«

Diesen umgedrehten »Technologie-Transfer« sehen Ligeti und Dahlke, die ihrerseits beim Konzert immer wieder die Rolle der »Exoten« einnahmen, ebenfalls als Möglichkeit aus dem »Worldmusic«-Dilemma auszubrechen. Kurt Dahlke: »Da wir eigentlich Feinde des Begriffs »Worldmusic« sind, ist unser »Exotenstatus« bei Beta Foly schon sehr bewußt überlegt. Der Begriff ist sowieso von Plattenfirmen auf dem grünen Tisch erfunden worden, um gewisse Sachen besser verkaufen zu können. Was mich interessiert, sind andere Sachen. Zum Beispiel: wenn mir ein Musiker erzählt, er hat sein Instrument 1963 angefangen zu spielen, weil wir vor drei Jahren nach Abidjan gekommen sind. Diese zeitliche Unlogik fasziniert mich. Und sowas wirkt sich auch auf den Umgang mit dem musikalischen Material aus. Ich habe für unseren Ballafonisten Aly ein Computerprogramm entwickelt, das zu verstehen versucht, was Aly spielt. Es variiert Alys Melodien und spielt ihm diese Variationen wieder vor. Darauf antwortet wieder Aly und so entsteht eine Art endlos weiterführbarer Live-Remix.«

Daß es hierbei nicht um technisch mögliche Kompatibilitäten, die ja auch wieder »Technologie-Import« bedeuten würden, sondern um mögliche Zusammenschlüsse spezifischer Techniken geht, sei gerade die Herausforderung, wie Lukas Ligeti feststellt. »Afrikanische und elektronische Musik folgen keinen herkömmlichen Stimmungssystemen. Das heißt, beide können Hörgewohnheiten verändern. Wir versuchen aus verschiedenen Stimmungssystemen ein drittes, neues zu machen bei dem Gemeinsamkeiten durch ein Territorium entstehen, daß für uns alle fremd ist.«

Ob solche Optionen angenommen werden, hängt jedoch nicht zuletzt von der Bereitschaft ab, die Spirale von Außenzuschreibungen und der durch sie verursachten Repräsentationen des »Fremden« zu erkennen und schließlich zu durchbrechen. Ansonsten bleibt es beim Multikulturalismus als kulinarisch-rassistischen »Genuß des anderen«.

*) Diese Strategien sind natürlich nicht allein auf den Bereich »Worldmusic« begrenzt, sondern lassen sich in fast allen populärkulturellen Feldern finden und nachweisen, wo es Zuschreibungen, Einordnungen und Ausschließungen entlang der Kategorien »race«, »class« und »gender« gibt. Signifikat für den Bereich »Worldmusic« scheint mir jedoch zu sein, daß diese Strategien weder hinterfragt noch abgewehrt, sondern von beiden Seiten als multikultureller Universalismus verstanden werden. Anders gesagt, diese Strategien sind auch deshalb möglich, weil es hier auf der »anderen« Seite keine (symbolische) Militanz (wie etwa bei HipHop) gibt, die jeden Integrationsversuch zuerst einmal mit Ausbeutung, Aneignung, Assimilation gleichsetzt.