mai 1998

Mario Jandrokovic
kommentar

Emigration - das schlechte Gewissen?

1938 wurde in Neumarkt am Wallersee eine Gruppe von Eisenbahnern, die insgeheim eine rote Fahne am Marktplatz gehißt hatte, denunziert und eingesperrt. Die Witwe eines der Beteiligten, eines Lokführers, der 1944 im KZ umkam, hielt es nach Ende des Krieges streng geheim, daß sie Care-Pakete und eine Hinterbliebenenrente erhielt, denn schließlich blickte man allgemein scheel auf solcherart »Privilegien« an jene, die kurz zuvor noch zu den Geächteten der »Volksgemeinschaft« gehörten, wie in diesem Falle einer Frau, die auch nach 1945 nichts anderes als die Witwe des »Zuchthäuslers« blieb.

In den Rängen der Kultur ging es im Vergleich dazu ungleich subtiler zu, doch die zurückkehrenden Häftlinge und ExilantInnen - jüdische, »linke« oder schlichtweg nazifeindliche - waren dennoch keineswegs willkommen, stellte doch allein ihre Gegenwart die Platzhalter in den Institutionen in Frage. Daß Oskar Kokoschka in Salzburg gemeinsam mit dem Galeristen Friedrich Welz die Sommerakademie für Bildende Kunst ins Leben rief, hängt sicherlich auch damit zusammen, daß der international renommierte Künstler in seiner ehemaligen Heimatstadt Wien wohl kaum Chancen gehabt hätte, eine geregelte akademische Laufbahn einzuschlagen; seinem noch unetablierten, jüngeren Kollegen, dem kürzlich verstorbenen Georg Eisler, der ebenfalls die Nazizeit in der englischen Emigration verbracht hatte, erging es nicht anders.

Es bleibe offen, wie sehr die zurückkehrenden ÖsterreicherInnen auf derart massive Ablehnung stießen, da sie einfach das schlechte Gewissen personifizierten, oder wie stark die künstlerische Auffassung eines Oskar Kokoschka in der Malerei oder auch zahlloser LiteratInnen einfach einer Kulturauffassung widerstrebte, die vom Ständestaat aufwärts bis in die junge Zweite Republik prägend blieb.

Nachdem das Ritual der Entnazifizierung vollbracht war und das Klima des Kalten Krieges auch sein Scherflein zur Wahrung der Kontinuität des Schrifttumskammerdenkens beitrug, in der auch die jüngeren emigrierten AutorInnen Opfer der Restauration wurden, dauerte es bis ins letzte Jahrzehnt, ehe es zur Genüge gesellschaftsfähig war, einen Erich Fried zum Österreicher rückzuwidmen. Hilde Spiel scheint nach wie vor mehr Ansehen im Rest der Welt zu genießen als in der Alpenrepublik.