mai 1998

Thomas Neuhold
kommentar

Immer noch Zähne

Die Geschichte, die Bert Brecht, Dichter und politischer Mensch, mit Österreich und Salzburg verbindet, mag schon eine ganze Weile her sein, dennoch lohnt es, sich mit ihr zu beschäftigen. Die Auseinandersetzung um Brechts österreichische Staatsbürgerschaft und der skandalöse Brecht-Boykott verdeutlichen in vielen Details auf welch reaktionärem Fundament diese Republik, ihr kulturelles Leben, aber auch die Medienlandschaft hierzulande aufbaut.

Für Salzburg trifft dies in ganz besonderem Maße zu. Im Namen des Antikommunismus wurde nicht nur »der vorerst letzte große Universalschriftsteller der deutschen Sprache« (August Everding über Brecht), sondern auch ein so genialer Kopf wie Gottfried von Einem aus der Stadt vertrieben und Herbert von Karajan installiert, der die Salzburger Festspiele ins elitäre Abseits führte.

Die Auseinandersetzung um Brecht hat aber nicht nur diese historische Komponente. Auch heute noch wird in regelmäßigen Abständen und mit vielerlei Tricks und Kniffen versucht, gegen den Arbeiterdichter Brecht Stimmung zu machen. Und wenn sonst nichts mehr hilft, dann muß eben ein tiefer Griff in die Beziehungskiste herhalten. Da kann man/frau dann sogar bei der in eine viktorianisch lustfeindliche Totenstarre verfallenen Linken punkten. Den verbitterten Progressiven war und ist insbesonders der junge Brecht immer zu anarchisch, triebbesessen, genuß- und lebenssüchtig gewesen.

Der wesentliche Grund aber, warum Brecht auch heute noch - für Rechte wie für manche Linke - als Feindbild taugt, ist, daß er sich immer zum fortschrittlichen Teil der Arbeiterbewegung bekannt hatte. Selbst in seiner Kritik an den Zuständen in der DDR blieb Brecht Sozialist. Bis heute gelang es nicht wirklich, den klassenkämpferischen Brecht posthum zu sozialdemokratisieren. Zu sehr sind die zentralen Teile seiner Texte und das epische Theater dem Prinzip der Aufklärung verpflichtet. Brechts Haifisch hat eben immer noch Zähne.