mai 1998

Kurt Palm
titel

Der Edelmarder im Hühnerstall

Wie Bertolt Brecht Österreicher wurde

Die Schreckensmeldung stand zuerst in den »Salzburger Nachrichten«: »Kulturbolschewistische Atombombe auf Österreich abgeworfen.« In der »Neuen Front« fragte Chefredakteur Viktor Reimann kryptisch: »Wer schmuggelte das Kommunistenpferd in das deutsche Rom?« Das »Linzer Volksblatt« schien die Antwort zu wissen oder zumindest zu erahnen: »Er dürfte ein gefährlicher Agent sein! Und den lassen wir herein!« In anderen Zeitungen war noch die Rede vom »Poeten des Teufels«, von der »literarischen Ausgeburt« und »vom größten Kulturskandal der Zweiten Republik«.

Den Anlaß für diese Pamphlete, die im Oktober und November 1951 in Österreich erschienen, bildete ein Dokument, das die Salzburger Landesregierung bereits am 12. April 1950 ausgestellt hatte, nämlich die »Urkunde über die Verleihung der Staatsbürgerschaft« an Bertolt Brecht. Wochenlang stand die »Affäre Brecht« im Mittelpunkt des medialen Interesses und beschäftigte sogar den Nationalrat und den Salzburger Landtag. Die Federn zahlreicher Journalisten verwandelten sich im Zuge dieser Auseinandersetzung in Schwerter, um den Kampf gegen das Böse schlechthin effizienter führen zu können: Den Kommunismus. Dieser sollte nämlich Österreich in der Person des Schriftstellers Bertolt Brecht unterwandern und reif für den Untergang machen. Originalton Viktor Reimann: »Die Einbürgerung Bert Brechts zeigt, wie durch den Übereifer einzelner intellektueller Sozialisten und durch die Unwissenheit und Schwäche der kulturellen Machthaber der Volkspartei unser Land kommunistisch unterminiert wird und die Amerikaner die geistige Bolschewisierung Österreichs noch finanzieren.« (»Die Neue Front«, 13. Oktober 1951)

Brecht als abschreckendes Beispiel

Wenn man angesichts solcher Formulierungen heute ungläubig den Kopf schüttelt, sollte man nicht vergessen, daß zu Beginn der fünfziger Jahre der Kalte Krieg bereits in vollem Gange war. Und in diesem Klima der Hysterie wurde natürlich ein besonderes Augenmerk auf die Kunst gelegt, deren festgesetzte Normen nicht hinterfragt werden durften. Tatsächliche oder vermeintliche Abweichungen von diesen Normen wurden gnadenlos bekämpft, indem man Exempel statuierte, die Abschreckungscharakter haben sollten. Im Falle des »Neuen Theaters in der Scala« zum Beispiel, das 1956 aus politischen Gründen geschlossen werden mußte, ging es ja nicht nur um die Schließung eines, vereinfacht ausgedrückt, »linken« Theaters, sondern auch um die Zurückdrängung einer einflußreichen Institution innerhalb einer demokratischen Kulturbewegung.

Ebenso ging es im Falle Brecht nicht nur um die Denunzierung des Schriftstellers Brecht, sondern auch um die Abrechnung mit einer Kunstauffassung, die der in den fünfziger Jahren in Österreich vorherrschenden konservativen, elitären, bisweilen nationalistischen Kunstdoktrin diametral entgegenstand. Friedrich Torberg faßte 1961 seine Haltung zu Brecht in einem Dreipunkteprogramm zusammen:

1. Kunst hat mit Politik zu tun.

2. Bertolt Brecht ist ein Kommunist.

3. Der Kommunismus ist der unerbittliche Todfeind der Demokratie.

Diesen Zusammenhang sollte man nicht aus den Augen verlieren, wenn man an die zahllosen Attacken gegen Brecht in den fünfziger und sechziger Jahren in Österreich erinnert, für die es mehrere Gründe gab. Ein Hauptgrund für diese Attacken war die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Bertolt Brecht im Frühjahr 1950. Nun stellt sich natürlich die Frage, weshalb sich Brecht damals ausgerechnet um einen österreichischen Paß bemühte, wo er doch vorhatte, in Berlin zu arbeiten. Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach.

Schwierigkeiten in der Schweiz

Als Brecht im November 1947, aus dem USA-Exil kommend, wieder europäischen Boden betrat, waren er und seine Frau, die Schauspielerin Helene Weigel, immer noch staatenlos. Die nationalsozialistische Regierung hatte ihnen im Juni 1935 die deutsche Staatsbürgerschaft »wegen Schädigung der deutschen Belange und Verstosses gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk« aberkannt. Nach fünfzehnjährigem Exil in mehreren Ländern ließ sich Brecht zunächst einmal in der Schweiz nieder, um von dort die Lage zu sondieren. Für ihn als heimgekehrten Emigranten war die Situation in der Schweiz allerdings alles andere als einfach, da sich die extrem ausländerfeindliche Politik der Behörden besonders gegen die aus dem Exil zurückgekehrten Staatenlosen richtete. Insofern ist es auch nicht überraschend, daß Brecht in vielen Briefen immer wieder auf die Schwierigkeiten hinweist, die ihm aufgrund fehlender Papiere gemacht wurden. Brecht war in der Schweiz festgenagelt. Einerseits weigerten sich die westlichen Besatzungsbehörden in Österreich und Deutschland, ihm entsprechende Transitpapiere auszustellen, andrerseits gewährten die Schweizer Behörden nur kurzfristige Aufenthalte. Das »anstrengende Geschäft der Exilierten: das Warten«, wie Brecht es in einem Brief nannte, und die Bürokratie machten ihm das Leben schwer.

In dieser für ihn und seine Familie äußerst unangenehmen Situation lernte Brecht im Frühjahr 1948 in Zürich den jungen österreichischen Komponisten Gottfried von Einem kennen. Den Kontakt hergestellt hatte Brechts langjähriger Freund und Bühnenbildner, Caspar Neher, der auch für Gottfried von Einems Oper »Dantons Tod« bei den Salzburger Festspielen 1947 das Bühnenbild geschaffen hatte. Von Einem war Mitglied des Direktoriums der Salzburger Festspiele und bemühte sich in dieser Funktion nachdrücklich um eine geistige Neuorientierung der Festspiele. Brecht, Neher und von Einem trafen sich ab dem Frühjahr 1948 nun regelmäßig in Zürich, um über Theaterprojekte in Wien und Salzburg zu sprechen, an denen Brecht großes Interesse zeigte.

Salzburg als neue Heimat?

Solange Brecht allerdings keine »guten« Papiere besaß, mußten alle diese Vorhaben als undurchführbar gelten. Von Einem versprach Brecht, sich in Salzburg bei einflußreichen Personen und Institutionen dafür einzusetzen, daß er ordentliche Papiere zum Reisen bekam. Salzburgs Landeshauptmann Franz Rehrl, der Präsident der Salzburger Festspiele Heinrich Puthon, der Leiter der Bundestheaterverwaltung. Egon Hilbert und andere maßgebliche Personen in Wien und Salzburg wurden in von Einems Pläne eingeweiht und unterstützten sie ausdrücklich. Das große Interesse, das man Brecht entgegenbrachte, ließ bei ihm erstmals auch die Überlegung aufkommen, sich »im Österreichischen, in der Salzburger Gegend niederzulassen«. Bevor Brecht aber nach Salzburg reisen konnte, sollte noch ein halbes Jahr vergehen. Solange dauerte nämlich die Abwicklung seiner Anträge.

Als Brecht schließlich im Oktober 1948 nach Salzburg kam, war sein Eindruck von der Stadt nicht gerade überwältigend. In seinem »Arbeitsjournal« notierte er: »hier gibt es alles, dh schwarz. man bezahlt mehr und braucht keine lebensmittelkarten. strenge demokratie für die mittellosen, dh arbeitenden, jeder bekommt gleich wenig. stadt wirkt ausgepowert, erschöpft.« Nichtsdestotrotz führte Brecht mit verschiedenen Verantwortlichen der Salzburger Festspiele Gespräche über mögliche Aufführungen seiner Stücke in Salzburg und Wien. Ein erster Anfang war gemacht und Brecht konnte halbwegs beruhigt nach Berlin weiterreisen, um dort die Inszenierung seines Stückes »Mutter Courage und ihre Kinder« herauszubringen.

Ein Festspiel für einen Paß

Bei dieser Gelegenheit sei daran erinnert, daß es zu dieser Zeit noch keine anerkannte deutsche Regierung gab und daß alle Reisedokumente nur als Provisorien angesehen werden konnten. Brecht wurde seine hoffnungslose Lage wieder bewußt, als er im Frühjahr 1949 neuerlich in die Schweiz reiste, um dort Gespräche wegen verschiedener Theaterprojekte zu führen, und die Behörden abermals Schwierigkeiten machten. In dieser Situation hatte Brecht die Idee, sich um einen österreichischen Paß zu bemühen, und schlug von Einem kurzerhand einen Handel vor. Er würde für Salzburg ein Festspiel schreiben, wenn er dafür einen Paß bekäme. Brecht: »Ich weiß jetzt auch ein Äquivalent, mehr für mich wert als Vorschuß irgendwelcher Art; das wäre ein Asyl, also ein Paß. Wenn das überhaupt möglich wäre, so sollte es natürlich ohne jede Publizität gemacht werden.«

Gottfried von Einem war mit dem Handel einverstanden und ebnete Brecht bei den verschiedenen Behörden in Salzburg und Wien den Weg. Ein Jahr lang dauerte der Aktenweg, der fünf verschiedene Ämter und Ministerien beschäftigte: Den Magistrat Salzburg, die Salzburger Landesregierung, das Unterrichtsministerium, das Innenministerium und den Ministerrat. Sie alle stimmten Brechts Ansuchen um die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu. Die Gründe für die positive Behandlung dieses Ansuchens waren vielfältig und reichten von völliger Ahnungslosigkeit hinsichtlich der Person Bertolt Brecht über die Hoffnung auf Deviseneinnahmen durch eine Zusammenarbeit Brechts mit österreichischen Verlagen und Theatern bis zur Autoritätshörigkeit untergeordneter Dienststellen.

Brecht begann seine Arbeit am »Salzburger Totentanz« und besprach in Salzburg verschiedene Pläne, unter anderem, wo der »Salzburger Totentanz« aufgeführt werden könnte. Außerdem wurden Projekte für das Wiener Burgtheater ins Auge gefaßt. Die Dinge nahmen also ihren Lauf, und alle konnten zufrieden sein.

In der Zwischenzeit arbeiteten die einzelnen Behörden an der »Akte Brecht« und gaben ihre Stellungnahmen ab. Im Gutachten des Magistrats hieß es beispielsweise: »Die Verleihung der Staatsbürgerschaft wäre ein Gewinn für das kulturelle Leben Österreichs.« Die Landesregierung Salzburg legte dem Unterrichtsministerium den Akt »zur allfälligen Ausstellung einer Staatsinter- essebescheinigung« befürwortend vor und in dem von Unterrichtsminister Hurdes unterzeichneten Schreiben hieß es, daß die Verleihung der Staatsbürgerschaft an Brecht »im Staatsinteresse gelegen« wäre. Am 12. April 1950 war es schließlich soweit, und Bertolt Brecht und seine Frau Helene Weigel erhielten die österreichische Staatsbürgerschaft.

Brecht und der Große Brockhaus

Als eineinhalb Jahre später die Affäre in der Blütezeit des Kalten Krieges publik wurde, wollte sich natürlich keine dieser Behörden mehr an ihre Stellungnahmen erinnern. Der Magistrat Salzburg putzte sich ab, indem man behauptete, in dieser Angelegenheit »keinerlei Entscheidungsgewalt gehabt zu haben« und sich im übrigen »durch die künstlerische Würdigung Bert Brechts im Großen Brockhaus« veranlaßt sah, seinem Ansuchen zuzustimmen. Das Unterrichtsministerium wiederum erklärte, daß man lediglich »dem unaufhörlichen Drängen sämtlicher zuständiger Salzburger Stellen« nachgegeben hätte. Auf diese Weise versuchte sich Unterrichtsminister Hurdes, dessen Rücktritt im Zusammenhang mit der Kampagne gegen Brecht gefordert wurde, aus der Affäre zu ziehen. Ebenso verhielt sich Bundeskanzler Figl, der im Parlament die Zustimmung des Ministerrats damit begründete, daß weder die Landesregierung Salzburg noch das Innenministerium »Bedenken irgendwelcher Art, die gegen die Zustimmung der Bundesregierung gesprochen hätten«, vorbrachten.

Brenzlig wurde die Geschichte allerdings für Josef Klaus, der am 1. Dezember 1949 Landeshauptmann von Salzburg wurde und damit letztendlich der politisch Hauptverantwortliche in dieser ganzen Angelegenheit war. Die Staatsbürgerschaft wurde Brecht ja erst am 12. April 1950 verliehen. Im Zuge der Medienkampagne weitete sich der »Fall Brecht« mehr und mehr zu einer Groteske aus, da ÖVP und SPÖ zu gleichen Teilen involviert waren und sich schwer taten, die jeweils andere Partei als in dieser Sache alleinverantwortliche hinzustellen. Den Magistrat Salzburg und das Innenministerium kontrollierte ja die SPÖ, die Salzburger Landesregierung und das Unterrichtsministerium unterstanden der ÖVP, und den Ministerrat bildete eine Koalition aus SPÖ und ÖVP.

Der Dieselmaschinist im Oratorium

In dieser Situation waren die in den Medien angestellten Vermutungen für die Politiker natürlich besonders unangenehm. Der Herausgeber der »Salzburger Nachrichten«, Gustav Canaval, begann zu grübeln: »Warum Bert Brecht, der zum verspäteten Landsturm des kommunistischen Avantgardistentums gehört, heute ausgerechnet auf Salzburg blickt, wohin er paßt, wie der Dieselmaschinist ins Oratorium, ist zunächst unerfindlich.« »Die Presse« wollte auch endlich Antwort auf die Frage: »Warum wurde Brecht Österreicher?« Viktor Reimann schließlich vermutete hinter der ganzen »Aktion Brecht« einen gewissen Eberhard Preußner vom Salzburger Mozarteum, der schon lange auf seiner Abschußliste stand. Der Grund: »Preußner war es auch, der Thomas Mann nach Salzburg brachte, jenen Edelkommunisten, der die deutsche Diktatur ablehnte, um desto mehr die russische zu preisen.«

Der Frage, »auf welchem Weg der Edelmarder in den Salzburger kulturellen Hühnerstall eingebrochen ist« (»Salzburger Nachrichten«), widmete sich am 21. November 1951 auch der Salzburger Landtag in einer mehrstündigen Debatte. Dabei zog der Abgeordnete des »Verbandes der Unabhängigen«, Friedrich Freyborn, über Brecht her und erinnerte an Brechts »großartige Liste von dekadenten, kulturschänderischen Veröffentlichungen«. Landeshauptmann Josef Klaus zog sich während dieser Sitzung insofern aus der Affäre, als er Gottfried von Einem zum Alleinverantwortlichen in dieser Sache machte und die Sache für beendet erklärte, da von Einem ja ohnehin bereits aus dem Direktorium der Salzburger Festspiele entfernt worden war.

Von Einem, »eine Schande für

Österreich«

Bei dieser Kuratoriumssitzung der Salzburger Festspiele am 31. Oktober 1951, die von Josef Klaus persönlich geleitet wurde, beschimpfte der Landeshauptmann von Einem als »Schande für Österreich« und als »Lügner« und verlangte die sofortige Entlassung des Komponisten aus dem Direktorium der Festspiele. Gottfried von Einem erinnerte sich später an diese denkwürdige Sitzung: »Da hatte ich endgültig die Nase voll und zu Klaus gesagt, er möge sich doch klarmachen, daß Hitler bereits tot sei und daß sein Ton absolut unverschämt wäre. Daraufhin sprang er, wie von einer Tarantel gestochen auf, warf den Sessel um und schrie: ,Entweder verlassen Sie den Raum oder ich!‘ Worauf ich erwiderte: ,Aus Ihrer Gegenwart gehe ich immer gerne fort.‘«

Gottfried von Einem wurde schließlich einstimmig seiner Funktion als Direktoriumsmitgleid der Salzburger Festspiele enthoben und die Medien hatten zusätzlich zum »Fall Brecht« nun auch den »Fall von Einem«.

Mit dem Rausschmiß von Einems galt zwar der »größte Kulturskandal der Zweiten Republik« nach außen hin als beendet, für das österreichische Theater sollte er aber noch fatale Auswirkungen haben. Dieses »abscheuliche Manöver Brechts«, wie Hans Weigel die Bemühungen Brechts um die österreichische Staatsbürgerschaft nannte, bildete nämlich den Auftakt zu einem tatsächlichen Skandal, nämlich den Brecht-Boykott in Österreich. Aber das ist ein anderes Kapitel.