mai 1998

Doc Holliday
wenn und aber

Der definitive Countdown zur Fußball-WM 98 - Teil 3

Was macht wirklich guten Fußball aus? Neben schnellem Offen-sivspiel mit technischen Schmankerln und überraschenden Einfällen braucht es auch echte Spielerpersönlichkeiten, die die wichtigste Nebensache der Welt mit ausreichend Humor würzen. Originale, deren Zungen ebenso flink sind wie ihre Beine. In Mitteleuropa scheinen solche Freaks aber seit den 70ern nahezu ausgestorben zu sein. Schluß mit lustig, lautet die Devise. Genauso schaut es dann aus, wenn die Stromlinientypen und verweichlichten Jungunternehmer uns mit ihrem unattraktiven K(r)ampf-Fußball langweilen. In den 90ern kommen die kickenden Spaßmacher aus Lateinamerika. Es sind vor allem Torleute, die mit exzentrischem Verhalten den Unterhaltungsfaktor erhöhen. Schon Ernst Happel sorgte sich um den Geisteszustand der Goalies: »Wennst samt dem Groß- und dem Kleinhirn zwischen den Pfosten herumfliagst, bleibt vielleicht etwas zurück.« Dabei ist die Spitzentroika der Torwächter-Clowns, der Kolumbianer Rene Higuita, der Mexikaner Jorge Campos und der Paraguayer Jose-Luis Chilavert, nicht nur zwischen den eigenen Balken unterwegs, sondern agiert als elfter Feldspieler. Unvergessen bleibt die ultraakrobatische Fußabwehr Higuitas, der ein Flicflac vorausging! Jeder andere »normale« Keeper hätte Mühe gehabt, die Kugel auf traditionelle Weise mit Faust oder Hand zu parieren. Bei der WM 1990 verlor »El Loco« (der Verrückte), wie ihn die Fans nennen, im Match gegen Kamerun durch einen schlimmen Fehler weit vor dem eigenen Strafraum den Ball, Kolumbien die Partie, Higuita aber immerhin nicht sein Leben. Ein Schicksal, das den Verteidiger Andres Escobar, der bei der WM 94 ein Eigentor verschuldete, ereilte: Er wurde in seiner Heimatstadt Medellin auf offener Straße erschossen! Higuita, der auch in der Koks-Kapitale kickt, ist in Frankreich sicherheitshalber nicht mehr dabei. Auch Campos, der auf Opas Ranchero beim Hendlfangen seine ersten Tormanntrainings absolvierte, ist für unglaubliche Husarenstücke bekannt. Aber diese »Ausflügler« sind gegen Chilavert Halbschuhtouristen. Der dribbelstarke Alleskönner hat bereits 27 Tore erzielt und ist zugleich ein gefürchteter Elfmeterkiller. Schon jetzt Nationalheld, könnte er auch zu einem der großen Stars der kommenden WM werden. Oder zum Sündenbock, wenn in Paraguay die nächste Stromabschaltung ansteht. Ansonsten bin ich der Meinung, daß das Deutsche Größenwahnsinnsreich rechtzeitig geschlagen werden muß!