juni 1998

Didi Neidhart
geschaut

PUBLIC SPACE

Was macht Kunst im öffentlichen Raum

Vom 25. April bis 24. Mai war der Salzburger Stadtteil Lehen eine Art Kunstmeile. Ein sozio- und kulturpolitisches Experimentierfeld für das »Verhältnis von Kunst zum öffentlichen Raum«. Ziel des von fünf Salzburger Kulturinitiativen (Galerie Fotohof, Salzburger Kunstverein, Galerie 5020, Initiative Kultur, Salzburger Sommerakademie) initiierten Projekts war es, die verschiedenen Vorstellungen des Begriffs »Öffentlichkeit« (als soziales Gefüge, sozialer Raum) praxisnah (also »auf der Straße«) zu hinterfragen und neu zu definieren. Lehen bot sich dazu aus mehrerlei Gründen an. Denn massives Geschäftesterben, Verkehrskollapse, urbane Architekturen, das Fußballstadion, die Landesnervenklinik und damit einhergehende, strukturbedingte soziale Problematiken stellen tatsächlich einen Gegenpol zur Innenstadt und ihrem barock-musealen »Weltkulturerbe« dar (auch wenn dort langsam selbst alteingesessene Geschäfte zusperren müssen). »Public Space« also auch als Versuch einer (Re-)Politisierung von Kunst? Immerhin gibt es ja schon seit längerem eine immer intensivere Beschäftigung mit dem Komplex »Stadt«, wobei urbane Räume als »umkämpfte« Zonen divergierender Interessen verstanden werden. Vor dem Hintergrund der »inneren Sicherheit« wird der freie Zugang zu öffentlichen Räumen immer mehr durch Überwachung, Kontrolle und Illegalisierung von Personen reguliert (Man denke nur an die Grazer »Bettel-Verordnung« oder die Gesichtskontrollen anläßlich der letztjährigen »Chaostage« in Salzburg). Das Ziel solcher Stadtteilsäuberungen sind weitgehend homogene Konsum-, Arbeits-, Wohn- und Freizeiträume. Darum geht es auch im empfehlenswerten, von Helmut Draxler herausgegebenen Begleit-Sammelband »Public Space« (Pustet Verlag), und darum ging es auch bei der begleitenden sozialwissenschaftlichen Projektstudie des Vereins Akku (Wien) sowie im Rahmen mehrerer Kunstgespräche. Nur in Lehen, also vor Ort, war von all dem nicht wirklich viel zu merken. Zwar sorgte Luc Deleus Idee einer Mittagssperre für den Autoverkehr in der Ignaz-Harrer Straße für rege Diskussionen, sah man die im Rahmen von Dieter Hubers »Autodafé«-Projekt mit begriffliche Assoziationen den Mythos Auto betreffend gestalteten Wägen in der ganzen Stadt, fielen Andreas Siekmanns weißgestrichene »Baustellendurchgänge«, die aus kleinen Lautsprechern Rilkes »Der Panther« erklingen ließen, zumindest auf und war das »Institut für soziale Wärme« von Kai Kuss in der ehemaligen Polizeiwachstube trotz fehlender, ins Augen springender Hinweisschilder meist gut besucht. Dennoch wurde der »Public Space« eher »unter sich« verhandelt. Dieser Eindruck verstärkte sich auch durch gelegentliche Lokalaugenscheine oder bei einer »Kameraführung«, wo sich zumindest herausstellte, daß die meisten Menschen, die auf Lehens Straßen anzutreffen sind, laut eigenem Bekunden gar nicht in Lehen wohnen. Ist das Konzept der KünstlerInneninterventionen, das Einmischen von Künstlern in »Öffentlichkeit«, der Ansatz einer »kulturpolitischen Alternative«, die irritieren, Fragen aufwerfen und zur Diskussion anregen wollte, also als gescheitert zu betrachten? Sieht man vom eher problematischen und doch auch Hierarchien und Klüfte nicht unbedingt abbauenden Ansatz eines Imports von Kunst nach Lehen im Gegensatz zu einer wirklich aus dem Stadtteil entstandenen Initiative (wie etwa »Park Fiction« in Hamburg) einmal ab, dann gab es zumindest Ansätze, die Themen Kunst, Öffentlichkeit und Politik aus dem institutionalisierten (und auch abgesicherten) Kunsträumen herauszutragen. Etwa wenn Marion von Osten mit ihrem Zeitschriftenprojekt »ELF« anhand von Frauenfußball ge- schlechtsspezifische und rassistische Zuschreibungen und Repräsentationen diskutierte und ein angestrebtes Frauenfußballtunier ab der Erwähnung des Wortes »Feminismus« plötzlich von Vereinsseite nicht mehr möglich war, oder Gerhard Spring als »Vertreter« in Sachen Kunst an Haustüren klingelte und die BewohnerInnen bat, Fotos von ihrer Wohnsituationen zu machen, die dann in der Galerie Fotohof ausgestellt wurden. Aber vielleicht war das Fehlen gewisser Thematiken (LNK, »Ausländer«) auch nur eine im Nachhinein doch eher positiv zu bewertende Konsequenz aus dem Problem, als »KünstlerIn« mit »marginalisierte Gruppen« (also jenen, die verordnungstechnisch plötzlich ganz schnell »illegal« sein können) überhaupt Kontakt aufnehmen zu können. Eine diesbezügliche »StellvertreterInnenpolitik« wäre wenig zielführend gewesen. Dennoch bleibt die Frage, ob hier nicht einiges gerade dadurch möglich wurde, daß ökonomische Interessen der Lehener Kaufmannschaft (»Galerie Ignaz-Harrer-Straße« - »wir lassen uns die Straße durch den Verkehr nicht sperren«) weitgehend unhinterfragt bedient wurden (was Cathy Skene dann auch an plötzlichen Lokalverboten für ihr Projekt »Mode für eine Österreichische Identität« feststellen mußte) und ein Teil der Projekte auch mühelos in jeder anderen größeren Stadt hätten stattfinden können. »Kulturpolitik«, auch nicht von KünstlerInnen, kann nicht einfach darin bestehen, in die Öffentlichkeit zu gehen und dabei trotzdem unsichtbar zu bleiben. Das kann dann Kunst sein, oder nicht, von Politik und dem damit verbundenen Verlust symbolisch besetzter Rückzugsgebiete und dem Zwang, Klartext zu reden, sind solche Aktionen jedoch noch weit entfernt. »Public Space« könnte immerhin ein erster Schritt in eine andere Richtung sein.