juni 1998

Mario Jandrokovic
zu gast

Aleksandar Tisma

Autor

Der Redakteur, Schreiber dieser Zeilen, hatte mit Aleksandar Tisma kein Gastgebergespräch geführt, wie es für diese Kolumne üblich ist. Ehe der Autor nach der Lesung im Gewühl des Publikums entschwunden war, gab es jedoch ein längeres, recht ausführliches Gespräch mit den Anwesenden, das einigermaßen klärte, welches »Gastgeschenk« der aus Novi Sad in der Vojvodina stammende Literat der ARGE mitgebracht hatte. Sein Besuch in Salzburg passierte im Rahmen eines Programmschwerpunkts des Friedensbüros unter dem bezeichnenden »Serbien muß sterbien«, der sich mit den Feindbildern und Mythen auseinandersetzt, wie sie vom »Westen« an den Südosten Europas gebunden werden. Aleksandar Tisma, Jahrgang 1924, stammt aus einem Gebiet, das geprägt geworden ist durch die Durchmischung serbischer, kroatischer, ungarischer, jüdischer und auch deutscher Bevölkerung, in dem das Selbstverständnis des multinationalen Miteinander in (politischen) Krisen- situationen immer wieder auf dramatische Art und Weise aus dem Lot gekommen ist. Tisma, halb Serbe, halb Jude, hat noch vor den blutigen Ereignissen der letzten Jahre, die auch in dieser Region das Gleichgewicht des multi-ethnischen Zusammenlebens zu einem empfindlichen, labilen werden ließen, seine Trilogie veröffentlicht, in der er sich mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs auseinandersetzt, die auch in der Vojvodina lange nachwirkende Narben und eine Unzahl ausgelöschter Biographien hinterlassen hatte. Nach »Der Gebrauch des Menschen« und »Das Buch Blam« erschien nunmehr sein Roman »Kapo« auf Deutsch - ebenfalls bei Hanser. Hier geht er mit akribischer Sorgfalt dem Schicksal eines Überlebenden von Auschwitz nach, der sich nicht nur des Überlebens willen mit der SS arrangiert, sondern seine Rolle als verlängerter Arm der Peiniger zum eigenen Vorteil überfüllt hatte. Wenn Tisma die Komplizenschaft zwischen einem SS-Mann und dem Hauptprotagonisten schildert, die zusammengehalten wird durch Abhängigkeit, Feigheit, Opportunismus und - so scheint es - einer gewissen fatalen Lust an diesem Zustand, dann entwirft er ein vivisektorisch genaues Psychogramm menschlicher Abgründe - eines allerdings, das nicht dazu dienlich ist, von individueller Schuld freizusprechen.

Es hat Jahrzehnte gedauert, ehe Tisma in seinen Romanen ein finsteres Kapitel erlebter Vergangenheit, dessen verborgener Sog gerade jetzt wieder an die Oberfläche des Zeitgeschehens getreten ist, literarisch ver- arbeitet hat, um im Mikrokosmos Vojvodina eine universelle Geschichte von der Hölle des Krieges und den Getriebenen in ihm zu erzählen. Von demher führt Tisma auch das andere Serbien vor Augen, das sich nicht auflösen läßt in den simplen Mythen, die sich aus Karl Mays oder Peter Handkes Schilderungen vom archaischen Balkan und schnittigen Boulevardnachrichten speisen. In der Diskussion bewies er jedoch auch, daß er sich nicht für den Gegenmythos einspannen läßt - als ein offiziöser Protagonist des »anderen Serbien«, dessen Literatur erst durch den Mehrwert der altgedienten Rolle des heldenhaften Dissidenten Geltung bekäme.