juni 1998

Peter Truschner

Das Verbindende trennt

Robert Lepage entwirft den Verlauf zweier Menschenleben

»Nicht wir sind es, die den Gegenstand finden, sondern der Gegenstand findet uns. Das treibt die Geschichte voran, läßt ein Geflecht aus Symbolen und Zeichen entstehen.« Die zehn Jahre zurückliegende Aussage eines Mitglieds des kanadischen Ensembles Théâtre Repere dürfte, zumindest was den Autor, Regisseur und Schauspieler Robert Lepage (*1957) betrifft, auch heute noch zutreffen. 1982 stieß er zu der von Jaques Lessard zwei Jahre zuvor in Quebec City gegründeten freien Theatergruppe. Zu Beginn an Klassikern orientiert, entwickelte die Gruppe unter Lepage bald eine »les cycles repere« genannte Methode, mit der sie sich ihre eigenen Stücke als Experimente auf den Leib schrieb. Einen Höhepunkt, vielleicht einen Meilenstein in der Geschichte der freien Theater, stellt dabei die 1986 realisierte »Drachentrilogie« dar, die im angloamerikanischen Raum förmlich mit Preisen überschüttet wurde. Sie bildet auch das Fundament für die Bekanntheit der Gruppe in Europa, die in den neunziger Jahren auch schon im Rahmen der Sommerszene in Salzburg zu sehen war.

Die Repere - Aufführungen, aber auch Lepages Soloprojekte wie »Vinci« (1987), in dem er die Rolle des Leonardo und der Mona Lisa übernahm, sind zumeist randvoll mit thematischen Querverbindungen, akustisch-visuellen Hintertüren und jenem Doppelleben der Menschen und Gegenstände, das sie seltsam alltäglich und geheimnisvoll, isoliert und doch miteinander verbunden erscheinen läßt. Offenbare und verborgene Prinzipien treiben die Handlung voran und bringen sie zum erlahmen, sind die Quellen einer wahren Bilderflut, ihres voraussehbaren Versiegens und unerwarteten Wiederhervorbrechens.

Lepage und seine Truppe(n) - diesmal rekrutiert sie sich aus dem Ensemble Ex Machina, Quebec, der aber Mietglieder der ersten Stunde des Repere wie etwa Marie Brassard angehören - zelebrieren das Ineinanderfließen von Geschichten und Motiven, die Gegenstandswelt des Alltags, das Licht - oft sind Lepages Bühnen dämmerig, mal nur von einem Streichholz oder einer Fackel beleuchtet, dann wieder bohren sich grelle Neonröhren durch die Finsternis oder die Gesichter gefrieren im Lichte eines kalten Morgens (‘Le Polygraphe’, 1989).

Es werden vielleicht auf den ersten Blick unvereinbar scheinende Gemeinsamkeiten zwischen dem »Magier, griech. orthodoxen Mönch, Sufi-Mystiker, Kabbalisten, Neuplatoniker, pythagoreischen Zahlenkundler und Areopagiten« Georges I. Gurdjieff (1865-1949), der »rituelle Säuberungen und Tänze in seinen psycologischen Übungen«(Lexikon des Geheimwissens) zu verbinden wußte, und einem Vater der modernen Architektur in den USA wie Frank Lloyd Wright ((1867-1959) gewesen sein, die Lepage zu der Theaterperfomance »Geometry of Miracles« inspirierten, deren österreichische Erstaufführung am 20.8.1998 um 19 Uhr 30 auf der Pernerinsel im Rahmen der Schauspiel-Abteilung der Salzburger Festspiele mitzuerleben ist. (Weitere Termine sind der 21., 22., 23., 25., 28. und 29. August 1998.) Diese Unabwägbarkeit der Querverbindungen: die energisch vorangetriebene Realisierung der eigenen Ziele und Vorstellungen von einem Idealzustand des menschlichen Zusammenlebens und Wohnens, die nicht nur Gurdjieff in Fontainebleau bei Paris ein »Institut zur harmonischen Entwicklung des Menschen« führen ließen, sondern sich auch bei Wright durchaus in einer Art Lehrzentrum materialisierten (Talasien, Arizona); ein Glaube an die »organische Struktur« (Wright) der Harmonie, an die mathematische Architektonik des Universums, an die positive Kraft, die in einem selbst steckt; die Obsession für das Erbe untergegangener Kulturen (Wright’s Enn’s House in L.A. wirkt wie ein Maya-Bau im 20. Jahrhundert) - so viele Berührungspunkte (zuguterletzt war Wrights letzte Frau eine Schülerin in Gurdjieffs Institut) und doch so unterschiedliche Herangehensweisen.

Lepage - so verheißen zumindest die Ankündigungen- scheint ein ganzes Kaleidoskop der (Un-)Vereinbarkeiten von Mystik und Mathematik mitten aus den Lebenszeugnissen zweier Menschen gewinnen zu wollen. Womit er sich übrigens mit Peter Brook in Einklang weiß, der Gurdjieffs Autobiografie 1979 verfilmte und nicht erst seither heftig von dessen Anhängerschaft vereinnahmt wird.