juni 1998

Anton Gugg

»Mahagonny«

Brecht bei den Festspielen

»Mahagonny« ist überall und hat immer geöffnet. Dekadenter Kleinbürgergeist ist unausrottbar und führt naturgesetzmäßig in die Katastrophe, auch in einer Oase des Lasters. Erfunden wurde das allegorische Eldorado für Goldsucher, »Gin und Whiskey, Mädchen und Knaben« vor gut siebzig Jahren von einem eben zu Ruhm aufgestiegenem Brachial-Dramatiker aus bayrischem Mief im Schatten von Geschichte und Kirche, für den Welterfolg musikalisch gerüstet von einem nicht minder antibürgerlichen Komponisten mit Ekel vor allem, was nach herkömmlicher Theater- und Opernkulinarik roch. In den Jahren vor 1930 sollte endlich Schluß sein mit Großer Oper und angefaultem süßlich-melodischem Wortklang-Brei auf bildungsbürgerlichen Traditionsinhalten, die niemanden mehr etwas zu sagen hatten.

Bertolt Brecht und Kurt Weill erfanden das scharfe Gegengift »Episches Theater« samt Verlängerung ins Revuehafte, das aus heutiger Sicht dem Musical weit nähersteht als dem »wirklichen« Musikdrama. »Dreigroschenoper«, die Komödie »Mann ist Mann« und dann »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny«, wobei letzteres Werk das »originalere«, widersprüchlichere, faszinierendere, aber unbekanntere Opus des erwiesenermaßen rücksichtslosen Ideen-Aneigners und Menschenausbeuters Brecht ist. Für das bis heute gültige Sittenbild einer verrotteten Laster-Gesellschaft gibt es im Gegensatz zur berühmteren »Dreigroschenoper« weder historische Vorlage noch verschwiegene Mitautor(inn)en, höchstens eine Urfassung von 1927.

Wie schön und richtig, daß sich die Salzburger Festspiele wenigstens zum Brecht-Gedenkjahr erstmals an eine hochbedeutende Figur erinnern, die von Österreich schlecht behandelt und von den Festspielen nicht einmal ignoriert wurde. Bekannt ist der von den Nachkriegs-Kulturbewahrergrößen Friedrich Torberg, Hans Weigel und Ernst Häusserman im Rahmen des »Kalten Krieges« eingesetzte Brecht-Boykott. Weniger bekannt ist die über die Salzburger Landesregierung 1950 erfolgte Einbürgerung des bettelarm aus dem Exil gestolperten B.B., der gemeinsam mit Helene Weigel jedoch nur kurz über seine künftige Wirkungsstätte Salzburg träumen durfte. Der innenpolitische Skandal fegte Brecht-Mentor Gottfried von Einem aus der Festspielführung und verwehte auch die szenischen Spuren des »Salzburger Totentanzes« und bis heute den Willen, Brecht als Bühnenkünstler zur Kenntnis zu nehmen. Kleinbürgergeist hat Salzburg davor bewahrt, zu einem Nabel der Theaterwelt zu werden.

Umso bemühter ist die »Wiedergutmachung« zum 100. Dichtergeburtstag. Peter Zadek gibt sein Festspieldebüt, Richard Peduzzi steuert das Bühnenbild bei, Catherine Malfitano ist Jenny Hill, Dennis Russell Davies dirigiert das RSQ-Orchester Wien. Premiere ist am 24. Juli im Großen Festspielhaus.