juni 1998

Gerald Gröchenig
kommentar

»Soon«

Das Jahrtausendende naht und pünktlich wie die Uhr rühren sich auf fast allen Kunst-Gebieten die Grübler, Warner und Propheten, die Bilanzierer und Ausblicker. »Chiliasmus« nennt man dieses merkwürdige Angst-Phänomen, das auch die mönchischen Seher des Mittelalters in Erwartungsstimmung eines tausendjährigen Reichs messianischen Heils nach der großen Apokalypse versetzte.

Einer der ersten »chiliastischen« Analytiker der zuende gehenden Katastrophenepoche war US-Theater-Superstar Tony Kushner mit dem weltweit gespielten »Angels in America«, einer sittenbildnerischen Abrechnung mit der politischen und privaten Scheinmoral im Schatten von AIDS. Jetzt holt der amerikanische Filmemacher und Musiker Hal Hartley (38) zu einer großen theatralisch-musikalischen Reflexion über Menschen in Angsthaltung nach dem Vergangenen und Hoffnungsgebärde vor dem Kommenden aus: »Soon« ist ein Stück, das von Menschen handelt, die sich einer Spielart des christlichen Glaubens verschrieben haben, die man als »millenaristisch« oder »apokalyptisch« oder »eschatologisch« bezeichnet. Der Begriff »eschatologisch« bezieht sich auf einen Glauben oder eine Einstellung, die sich auf die hoffnungsvolle Erwartung des Untergangs der Welt gründet. Das Millennium oder Tausendjährige Reich wird als eine Periode des Friedens, des Glücks und der vollkommenen Gerechtigkeit unter der direkten Ägide Gottes vorgestellt, als etwas, worauf sich die Gläubigen freuen können, obwohl es zuvor die Apokalypse zu überstehen gilt, so der missionarische Gottsucher-Autor.

Beängstigender könnte der Anspruch eines mit Offenbarungs-Texten durchsetzten »Musical Play« nicht formuliert werden, rührt er doch an ein blankes theologisches Programm und sektiererischen Eifer, den man höchstens im Seminar, nicht aber als Zukunftsmodell für privates und politisches Verhalten akzeptieren möchte. Solange gepredigt und keine Distanz zu religiös-fundamentalistischen Paradiesentwürfen hergestellt wird.

Hartley - auch in seinen Filmen ein Verfechter von Keuschheit und sublimierter Körperlichkeit - wird sein endzeitliches, moralisch-morgenrotes »Musical Play« auf der Perner-Insel eigenhändig aus der Taufe heben. Neben der Regie stammt auch die Musik teilweise von diesem etwas zerebral wirkenden Independent-Außenseiter, der nie die Bekanntheit eines Gus Van Sant oder Quentin Tarantino erreichte.

Premiere am 30. Juli