juni 1998

Heinz Schoibl

Im Zweifelsfall droht der Kuckuck

25 Jahre jung und akut überschuldet? Ursachen und Rahmenbedingungen - eine exemplarische Erhebung am Beispiel Vorarlberg.

Vorneweg die harten Zahlen der Schuldenberatung Vorarlberg: Zwei Drittel der KlientInnen, die zum Zeitpunkt des Beratungskontaktes jünger als 35 Jahre waren, sind bereits seit ihrer Jugend verschuldet - der Männeranteil liegt bei 65 Prozent. Ein Drittel ist mit mehr als 400.000 Schilling in der Kreide. Eine überproportional große Rolle für die Verschuldung im jugendlichen Alter spielen der Kauf eines Autos und die Wohnraumbeschaffung.

Zentrales »strukturelles« Merkmal bei der Verschuldung von jungen Erwachsenen ist die Kumulation von verschiedenen Schuldenformen: Kontoüberziehung, Konsumkredite und Bürgschaften sind dabei die häufigsten Bestandteile einer Überschuldungssituation. Die vier häufigsten Überschuldungsgründe junger KlientInnen sind Hausstandsgründung (34 Prozent), Bürgschaften (23), überhöhter Konsum (20) und prekäre Selbständigkeit (zehn Prozent).

Überschuldung - ein komplexer Prozeß

Ein detaillierteres Bild der Überschuldungsdynamik ergibt die Unterscheidung einzelner Faktoren:

• Individuell/biografische Faktoren: Nur wenige Jugendliche sind adäquat über Geldangelegenheiten, Kosten und Risiken, informiert. Fehlende Information und Aufklärung bilden die Grundlage für eine individuelle Neigung zu kompensatorischem Konsum. Krankheit, Sucht,... können diese Neigung zusätzlich verstärken.

• Familiäre Faktoren: Entscheidenden Anteil an einer Überschuldungskarriere hat das elterliche Finanzverhalten, die Information durch die Eltern, aber auch deren Erziehungsstil. Einen Sonderfall für ein negatives Elternmodell stellen Jugendliche dar, die von ihren Eltern für Bürgschaften bzw. überhaupt für eine Mitkreditnahme ausgenützt wurden.

• Sozioökonomische Faktoren: Für das Entstehen von Überschuldungskrisen sind in vielen Fällen Einkommenseinschränkungen durch Teilzeitbeschäftigung, Arbeitslosigkeit und/oder wechselnde Beschäftigung wesentlich. Ein weiteres Überschuldungsrisiko stellt die Verringerung des Haushaltseinkommens durch den Ausfall eines Einkommens (Karenz, Kindererziehung, Pflege) oder auch bedingt durch eine Trennung dar.

• Gesellschaftliche Faktoren: Zentralen Anteil an Überschuldungsrisiken haben gesellschaftliche Faktoren wie fehlende Rechtsansprüche, rechtliche und gesellschaftliche Benachteiligungen von MigrantInnen, prekäre soziale Integration und/oder unzureichende Vertrautheit mit dem rechtlichen und administrativen System in Österreich.

Administrative Rahmenbedingungen verhindern Überschuldung nicht

Die Angebote und die administrativen Besonderheiten des Banken- und Kreditgewerbes spielen sowohl beim Einstieg als auch bei der Entwicklung von Überschuldung eine wesentliche Rolle. So findet einerseits im Rahmen der Kreditgewährung lediglich eine ungenaue Bonitätsprüfung statt. Nach wie vor werden nicht alle Schulden kreditschutzgemeldet. Offensichtlich werden zudem auch Bürgschaftsverpflichtungen im Rahmen der Kreditvergabe nicht adäquat berücksichtigt.

Andererseits sind Bürgschaften durch sozial beziehungsweise ökonomisch abhängige Personen als Sicherheiten für Risikokredite gängige Praxis. Dies betrifft gleichermaßen Eltern-Kind-Beziehungen, junge Lebensgemeinschaften und aktuell karenzierte LebensgefährtInnen ohne adäquates eigenständiges Einkommen, die zur Kreditbesicherung herangezogen werden.

Im administrativen Gefüge des Kreditgewerbes sind zudem keine verbindlichen Vorsorgen gegeben, die der Entwicklung einer Schuldenkumulation aus unterschiedlichen Quellen vorbeugen könnten. Detto sind trotz einer zunehmenden Gefährdung der Privathaushalte durch steigende Arbeitslosigkeit keine adäquaten Vorsorgen für eine transparente und verbindliche Hilfestellung bei Zahlungsschwierigkeiten gegeben. Im Zweifelsfall droht der Kuckuck!

Risiko Jugendkonsum

Eine Fragebogenerhebung in Berufs- und höheren Schulen unterstreicht die Brisanz der Schuldensituation junger Menschen. Danach verhält sich der Großteil zwar grundsätzlich vorsichtig gegenüber Fremdgeld, aber gerade ältere BerufsschülerInnen überziehen ihr Konto im Bedarfsfall: 53 Prozent der BerufsschülerInnen können ihr Konto überziehen, 28% der BerufsschülerInnen sind aktuell verschuldet.

Etwa ein Viertel der BerufsschülerInnen neigt zu risikobereitem Finanzverhalten. Diese Jugendlichen haben aktuell kein Finanzguthaben, sondern statt dessen ihr Bankkonto bis an die Grenze überzogen. Sie neigen zu regelmäßigen hohen Ausgaben für Fortgehen, Alkohol und Zigaretten. In dieser Gruppe läßt sich zudem die Neigung feststellen, sich im Konsumverhalten an der massiven Konsumwerbung zu orientieren. Das Risikopotential ist damit ausgesprochen hoch.

Überschuldungsprävention...

...erfordert Bildung, Information und Aufklärung. Diese darf sich aber keinesfalls auf rationale Wissensvermittlung beschränken, sondern muß schwerpunktmäßig auf die Sensibilisierung für Schuldenfallen abzielen. Dabei ist sinnvollerweise auf die Erfahrungen in der Aids- sowie Drogenprävention zurückzugreifen und eine vernetzte Durchführung zu realisieren.

Darüber hinaus sind Maßnahmen zur Verhinderung einer Verschuldung für Hausstandsgründung und prekäre Selbständigkeit zu entwickeln: Es gilt, preisgünstigen Wohnraum für Jungfamilien bereitzustellen. Weiters braucht es Schutzvorkehrungen für junge Menschen, die sich selbständig machen. Infrastrukturförderungen, Beratungsangebote gleichermaßen für die Gründungsphase als auch für allfällige Finanzkrisen sowie die Schaffung eines Risikofonds zur Abfederung von Insolvenzen erscheinen unabdingbar.

Durch legistische und administrative Maßnahmen sind Rahmenbedingungen für einen besonderen Schutz von Jugendlichen und jungen Erwachsenen sicherzustellen. Schuldenkumulationen aus einer nahezu beliebigen Anhäufung unterschiedlichster Schuldenarten sind für alle Beteiligten von Nachteil. Vertrauen auf die Entwicklung von Kapital- und Arbeitsmarkt ist sicherlich nicht angebracht.

Heinz Schoibl lebt und arbeitet als Sozialwissenschafter (helix - Forschung, Beratung, Entwicklung und Evaluation)

in Salzburg.