august 1998

Mario Jandrokovic

Zdravko Haderlap.

Brückenkopf zu neuen Wegen des Theaters

Das Ikarus-Tanztheater, wie wir es kannten und schätzten, gibt es nicht mehr, und Zdravko Haderlap, langjähriger Kopf des Klagenfurter Ensembles, begibt sich nunmehr am freien Markt auf die Suche nach neuen künstlerischen Herausforderungen. Zuletzt bescherte Ikarus dem Salzburger Publikum im Kulturgelände Nonntal noch ein fulminantes Finale mit »Europa. Mutter der Schlachthöfe«. Mit diesem Stück für eine kultur- wie stil-übergreifende Truppe, das sich mit dem brisanten, wiewohl aus den aktuellen Schlagzeilen entschwindenden Thema Bosnien auseinandersetzte, gelang das äußerst rare Kunststück, die Bühne zum Forum expliziter politischer Aussagen zu machen, die sich nicht in larmoyanten Plattheiten erübrigen. Haderlaps Inszenierung machte den Theaterraum zum Austragungsort für ein verzahntes Spiel im Spiel im Spiel, bei dem das Illusorische aller (Bühnen-)Kunst ins Bewußtsein kommt, das aber gleichzeitig die Wirklichkeit umso schmerzhafter wirklich erscheinen läßt. In einer Verdichtung von Spaß und Tragik löste sich das Banale in Dämonischem auf wie umgekehrt.

»Tanztheater«, wie es von Ikarus praktiziert wurde, verließ nicht bloß die Sicherheit überschaubarer stilistischer Pfründe. Zdravko Haderlap sieht in seiner künstlerischen Arbeit vor allem auch eine »Brückenfunktion«. Der Kärntner Slowene zog mit Ikarus seine konzentrischen Kreise, um, wie er sagt, eine »Kul-turlandschaft« zu ergründen; diese endet im Süden nicht dort, wo das »Kärntner Grenzlandjahrbuch« mit der patriotischen Keule, viele andere halt etwas subtiler eine endgültige Demarkationslinie zu ziehen trachten. So ist die Situation, in der dem Ensemble die Kehle zugeschnürt wurde, nicht ganz überraschend vor allem auch Resultat der Kärntner Kulturpolitik in Händen der FPÖ. Die unliebsame kulturelle Programmatik von Ikarus wurde einfach »politisch benützt« von jenen, die vorgeben, welche Freiheit allgemein gemeint werden darf; und der Schaden, den dieser bevormundende Populismus anrichtet, so Zdravko Haderlap, ist momentan einfach »nicht mehr wieder gutmachbar«.

Das Schicksal des Ikarus erschöpft sich jedoch keineswegs bloß in der Tragik einer bösen Kärntner Provinzposse: Auf Bundesebene wurde zwar anders argumentiert, das Ergebnis blieb dasselbe: Dem Theater aus dem fernen Klagenfurt wurde schlichtweg die Daseinsberechtigung abgesprochen. Man attestierte den Werken unter anderem Banalität und Beliebigkeit. »Schlechtes Personal« hieß es unter anderem, denn auch bei »Europa. Mutter der Schlachthöfe« wurden auf der Bühne nicht einfach Autoritäten unterschiedlicher Sparten summiert. Ein Stück entstand immer aus der besonderen Chemie der Beteiligten, aus einer wahnwitzigen Verflechtung von Theater, Tanz, Gesang und jeglichen anderen Disziplinen, die sich für ein kompaktes, bewegendes wie bewegtes Bühnenereignis anbieten. »Das Zeitgenössische überzeichnen«, so beschrieb es Zdravko Haderlap sinngemäß seine Vorgehensweise, »bevor nichts mehr drin ist, was bewegt.« Ikarus war niemals versöhnlich-ästhetisierend genug, um im allgemeinen Lob entsorgt zu werden. »Dafür gibt es keine zwei Meinungen über ein Stück, die identisch wären.«