august 1998

Othmar Raus

Ein Nachruf auf die Fußball-WM 1998

Peter Handke weiß um den kulturellen Wert von Gustl Starek Vorschlag für die Abschaffung eines feinen Unterschieds

»Abschließend sei noch gestattet zu bemerken, daß es unseres Erachtens nicht im Sinne der Stadt sein kann, unseren Besuchern aus aller Welt anstatt einer Kulturstadt, eine fünf Wochen dauernde Fußball-Atmosphäre im Herzen der Altstadt zu präsentieren.« In »Salzburg heute« meinte eine »Studentin oder Student/Wien« im Trachtenjanker vor dem Café Tomaselli, der ORF solle mehr Kultur und weniger Fußball senden. Wenn man andererseits Sportjournalisten vorrechnet, wieviel Geld für Sportprojekte investiert wird, erntet man vor allem den kritischen Vergleich mit »der Kultur«, die bevorzugt werde. Fußball und »die Kultur« scheinen in dieser Stadt stets Konkurrenten, nie Partner zu sein. Dabei machte diese Konfliktstellung nie Sinn.

Nehmen wir zum Beispiel Franz Kafka: Franz Kafka war Zeit seines Lebens überzeugter Anhänger des Wiener Fußballvereins Hakoah. Prägend für sein weiteres literarisches Schaffen war die Funktion des Schiedsrichters im Fußballspiel. Dessen Allmacht, dessen schwar-zes Dress und seine Trillerpfeife sind Symbole, zu denen Analogien in den Romanen von Kafka immer wieder zu finden sind. Oder Friedrich Torberg, der seine Begeisterung für das Fußballspiel des Wiener Stürmers Matthias Sindelar in einem eigenen Gedicht festhielt. Ähnliche Inspirationen aus dem Fußballspiel holten Ödön von Horváth und Hermann Broch. Auch Walter Jens zählt zu jenen, die in der Lage sind, Fußball künstlerisch zu verarbeiten. Pier Paolo Pasolini widmete eine eigene Kurzgeschichte einem kleinen Bruder des Fußballs: dem Tischfußball.

Stellen wir also fest, daß Fußball künstlerisch interessant ist, so würde ich weitergehen und Fußball auch als Ausdruck der Kultur einer Gesellschaft sehen. Um Marcel Reich-Ranicki zu zitieren: »Kein Drama der Welt kann so übersichtlich sein wie ein Fußballspiel.« Denken Sie an England gegen Argentinien. Autoren wie Christoph Bausenwein gehen sogar weiter und wollen Fußball als Kunstform verstanden wissen. Schließlich seien alle Elemente, durch die Kunst definiert sei, vorhanden: Künstler, Kunstwerk und Betrachter.

In der Literatur tobt mittlerweile eine Debatte über die im Fußballspiel vertretenen Ausdrucksformen. Helmut Böttiger beispielsweise sieht im Fußballspiel Borussia Mönchengladbachs zu Beginn der siebziger Jahre den Ausdruck hegelianischen Fußballs. Dialektisches Denken habe in dieser Zeit in den Fußballsport Eingang gefunden. Die Über- windung des Hin- und Hergeschiebes des Balles im Mittelfeld und die Etablierung des Doppelpasses am gegnerischen Strafraum durch Günther Netzer waren Ausdruck einer neuen geistigen Flexibilität der Gesellschaft, die am Fußballplatz künstlerischen Ausdruck fand. Genauso wie ein Fußball Günther Netzers ästhetische Projektionsfläche der kulturellen Entwicklung der frühen siebziger Jahre war, so trägt der moderne Fußball, wie er beispielsweise von Bayern München in der Post-Paul-Breitner Zeit entwickelt wurde, wiederum die wesentlichen Charakterzüge der neuen gesellschaftlichen Formation. Das moderne, kraftbetonte und konventionelle Fußballspiel machte den einzelnen Spieler wieder austauschbar. Dieser oft als »Angestelltenfußball« bezeichnete dominante Fußball ist aber auch wieder nichts anderes als Ausdruck einer sich unter ökonomischen Sachzwängen modernisierenden Gesellschaft.

Bei Fußballweltmeisterschaften ist ein Gesamtbild der weltweiten Entwicklung dieser Kulturform zu sehen. Gleichzeitig bietet eine Weltmeisterschaft die Kulisse von Dramen ungeahnten Ausmaßes. Menschen, die diese Form der Kultur oder des Dramas oder eben der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen anderen kulturellen Formen vorziehen, haben ein Recht darauf, nicht der Kulturlosigkeit geziehen zu werden. Selbst wenn sie den Anspruch gar nicht erheben, Beobachter oder besser: Teil eines kulturellen Prozesses zu sein, so hat niemand das Recht, ihnen einen derartigen Vorwurf zu machen.

Einer der ersten Versuche, die Konfliktstellung zwischen Sport und Kunst zu überbrücken, stammt übrigens von Bert Brecht, der Menschen aus den Stadien auch in die Theater locken wollte. 1925 stellte er fest: »Unsere Hoffnung gründet sich auf das Sportpublikum.«

Pierre Bourdieu zeichnete in seiner Studie »Die feinen Unterschiede« Landkarten mit den Symbolen unserer Gesellschaft. Der Fußball kommt in dieser Skizze als Distinktionsmerkmal vor: Wer sich davon distanziert, kann sich damit gleichzeitig von der Kultur der Renault-Fahrer, gering Gebildeten und Chanson-Liebhaber abgrenzen. Bourdieu ist Franzose, der Mechanismus ist international.

Auch eines der schönsten Gedichte Peter Handkes hat etwas mit Fußball zu tun. Es heißt »Die Aufstellung des 1.FC Nürnberg vom 27.1.1968«:

WABRA

LEUPOLD POPP

LUDWIG MÜLLER WENAUER BLANKENBURG

STAREK STREHL BRUNGS HEINZ MÜLLER VOLKERT

Spielbeginn:

15 Uhr

August Starek war auch Trainer der Au-stria Salzburg. Das kann man, muß es aber nicht wissen.