märz 2000

Wolfgang Karlhuber
gelesen

LUTTER/REISENLEITNER: Cultural Studies - Eine Einführung

Verlaf Turia + Kant/Wien 1999

Dass ich mich schnäuze, falls überhaupt, und ich nicht an Rotzverhaltung aus dem Dasein scheide, und wenn ich mich schnäuze, dann auf welche Weise - all das ist Kultur! Fundgruben tun sich auf, deren Dimensionen hier nur angedeutet werden können.

1.) Der »Bauern-Schneuzer«, ein Abgrund an Klassenhass und disziplinierender Etikette für alle, die nicht wissen, wie sie sich ihrer zwei oder mehr Finger (lokale Varianten lassen weitere Schlüsse zu) bedienen sollen.

2.) Das »Stoff-Taschentuch« - welcher weiße, männliche, katholisch sozialisierte, ehemalige Ministrant erinnert sich nicht des schmierigen Fetzens, den in seinen Ärmeln zu verbergen dem Pfarrer nicht immer gelang?

3.) Das »Papiertaschentuch«, vulgo »Tempo«, vulgo »Softiesq. Als »Kleenex« erlebte es seine US-Markteinführung im Anschluss an den Ersten Weltkrieg; ursprünglich jedoch diente es als Verbandmaterial und Filter für Gasmasken, siehe: Der US-Imperialismus und seine Folgen.

4.) Dass hier nicht der Begriff »Nase putzen«, sondern der Begriff »schnäuzen« verwendet wird, der seine Abkunft aus dem Ritual des »Licht putzens«, also des Stutzens des Dochtes einer Kerze nicht verleugnen kann, soll hier doch noch abschließend erwähnt werden.

Soweit ein Extrakt aus dem Schatzkästlein des »Bohre-in-der-Nase-wo-du-stehst«-Kulturfor-schers.

»Der Kulturbegriff funktioniert wie ein Köder, den die moderne Gesellschaft auslegt, um auch und gerade ihre Kritiker für sich einzunehmen.«, bemerkte Dirk Baecker unlängst, und daß Lutter/Reisenleitner die Differenziertheit des »culture«-Begriffes der angelsächsischen »cultural studies« speziell im Unterschied zum deutschsprachigen »Kultur«-Begriff prononciert herausarbeiten, gehört zu den Qualitäten ihrer Einführung, die sich damit wohltuend aus einer Fülle von Publikationen hervorhebt, die entlang einer »Geschichte des Gartenzwerges« doch nur einem banalen und reaktionären Historismus huldigen.

Anhand der Geschichte des »Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies« und seiner Vorreiterrolle werden die politischen und theoretischen Grundlegungen vor allem in Bezug auf das Konzept der Popularkultur dargestellt; die sich daran an-schließenden Weiterentwicklungen in den USA, Kanada und Australien werden mittels zentraler Begriffspaare wie Identität /Differenz, Gender/Sexualität und Ethnizität/Nation diskutiert, sowie deren aktueller Stand referiert. Gerade im Kontrast zu der Unmenge an Sammelbänden, die momentan im deutschen Sprachraum grassieren, kann diese gut lesbare Einführung nur wärmstens empfohlen werden, noch dazu, wo sie den Auftakt einer Serie markiert, die vor kurzem u. a. John Fiske's Klassiker »Reading the Popular« in Übersetzung auf den Markt gebracht hat.