märz 2000

Didi Neidhart
gelesen

GERALD RAUNIG: Charon. Eine Ästhetik der Grenzüberschreitung

Passagen Verlag 1999, 176 Seiten, öS 266.-

Wie ist das denn nun mit »der Kunst« und »der Politik«. Wie kann die eine »politisch« werden, ohne im Gegenzug die andere zu »ästhetisieren«. Diesen Fragen versucht Gerald Raunig (u.a. Vorstand der IG Kultur, Redakteur der »kulturrisse«) auf den Grund zu gehen und kommt dabei zu äußerst praktischen Ergebnissen.

In der Kunst ist »Autonomie« ein äusserst problematischer und heftig umkämpfter Begriff, der auch in den Avantgarden des 20. Jahrhunderts immer wieder zur Ausblendung sozialer, politischer und ökonomischer Bedingungen führte. Es sind gerade die »autonomen KünsterInnensubjekte« die das reibungslose Funktionieren der »ökonomischen Mechanismen von Kunstmarkt und Kulturindustrie« garantieren und dem Kapitalismus immer wieder Argumente dafür liefern, dass die (sozialdarwinistisch verstandene) Freiheit, die er meint, eben doch nicht arm mache. Mit Nachdruck stellt Raunig jedoch fest, dass einer allzu simpel verstandenen »Auflösung des klassischen Subjektbegriffs auf ökonomischer Ebene die Gefahr der neoliberalen Deregulierung eingeschrieben ist«. Gemeint ist damit die »neoliberale Umdeutung« von »Flexibilisierung« (vgl. Arbeitsmarktpolitik) Um dieser ökonomischen Zwangsflexibilisierung zu entgehen, schlägt Raunig nun eine »selbstbestimmte Konnotation von Flexibilisierung« vor, innerhalb derer auch die vielbeschworene »Politisierung von Kunst«, basierend auf den Theorien von Brecht und Benjamin, als »Veränderung von Rahmenbedingungen und Organisationsformen« der Gesellschaft definiert wird. »Politisch« wird Kunst nur dann, wenn sie »Grenzüberschreitungen« als Aufbrüche und Überschreitungen in die »Felder des Sozialen und des Politischen« vornimmt. Nur so sei es möglich »temporäre Grenzräumen« zu schaffen, in denen differente Positionen und Streit, d.h. Diskuse »zum Ausbruch« kommen können. Das verlangt auch ein anderes »Berufsbild« bzw. Selbstverständnis jener, die als »cultural worker« tätig sind. »Sie können das Privileg ihres Freiraums der relativen Selbstbestimmung dazu nutzen, geeignete Settings herzustellen, wo die Identifizierung von Differenzen nicht den Verlust von Differenz, die Identifizierung von Schwächen nicht den Verlust der restlichen Stärke bedeutet.« Auch wenn Raunig selbst anmerkt, dass es sich hierbei um schon etwas ältere Hüte handelt, sollte nicht übersehen werden, dass es einen beträchtlichen Unterschied macht, ob diese Hüte an der Gaderobe vermodern oder endlich einmal aufgesetzt werden.