märz 2000

kommentar

»Entwürdigende Koalition«

Die Salzburger Politikwissenschafterin und langjährige Konsulin in Berlin Barbara Wicha verließ im Februar nach 35 Jahren Parteimitgliedschaft die ÖVP. Auszüge aus ihrer Argumentation

Die Salzburger Politikwissenschafterin und langjährige Konsulin in Berlin Barbara Wicha verließ im Februar nach 35 Jahren Parteimitgliedschaft die ÖVP. Wicha tauschte ihr schwarzes Parteibuch gegen ein Engagement in der ARGE Kulturgelände ein: Die Politikwissenschafterin leitet ab sofort die ARGE-Reihe »Konfrontationen«. Aus diesem Anlass dokumentiert der »kf« Auszüge aus einem Brief an Bundespräsident Thomas Klestil, in dem sie ihren Austritt aus der Schüssel-Partei begründet.

(...) Ich bin seit dem 13. Oktober 1965 Mitglied der ÖVP, war Mitglied des Bundesvorstandes der Jungen ÖVP, (...) habe dem ÖAAB angehört, war entsprechend unserem eigenen Statut auch Direktmitglied. (...) Nach 35 Jahren werde ich heute dem Herrn Bundesparteiobmann der ÖVP meinen Austritt mitteilen. (...)

Bis zu seinen Verwirrspielen, den Österreicher/innen vorzugaukeln, Neutralität und »Solidarität mit Europa« seien vereinbar. Und zu seinem unbegreiflichen Drang, sich und Österreich in die NATO hineinzudrängen. (...) Und bis zu diesem koketten Spekulieren auf Wählerstimmen, indem er nicht gegen die Haider-Plakate in Wien protestiert hat. (...)

»Opposition ohne wenn und aber, wenn man 3. Partei wird«. Das war im Grunde schon abzulehnen. Noch abstoßender aber war das Spiel in den dann doch heroisch aufgenommenen Koalitionsgesprächen mit der SPÖ. Als Verlierer von einem Verhandlungspartner nur noch Zugeständnisse zu verlangen und dann auch noch die Grenzen zwischen Regierung, Parlament und Sozialpartnern opportunistisch zuschütten zu wollen, um in einem Befreiungsschlag sich durch die FPÖ in den Kanzler-Sessel heben zu lassen - das ist für mich als Politikwissenschafterin, als ÖVP-Mitglied (...) und als Frau zu viel!

Ich halte Dr. Schüssel für intelligent genug zu wissen, dass sich Herr Dr. Haider nie ändern wird - daher kann das einzige Kalkül nur der Erhalt der eigenen Macht sein! (...) Dass Dr. Schüssel offenbar nicht begreift, was er durch seinen Ehrgeiz für ganz Österreich anrichtet, durch die potentielle Ressortaufteilung zusätzlich jeder einzelnen Frau in Österreich, durch das Verteidigen Haiders gegen gerechtfertigte Angriffe aus dem In- und Ausland den Schaden noch vergrößert, ist einfach unerträglich. (...)

Wenn es Herrn Dr. Schüssel um Österreich und nicht um sich selber ginge, wäre er längst zurückgetreten (...), es sind schon Minister aus harmloseren Gründen abgetreten - verglichen zu dem Schaden, den er dem Land zufügt!. (...)

ALLES wäre besser gewesen als eine entwürdigende Koalition mit dem rechten Rand, die Österreich international in die Isolation drängt und von dem, wofür die ÖVP einst gestanden ist, nicht einmal mehr eine Spur übrig lässt.