november 1998

Didi Neidhart

»Man darf den Süchtigen nicht einfach ihre Krücken wegnehmen«

Wohin soll die Drogenpolitik?

Das in Österreich seit 1971 bestehende Suchtgiftgesetz (SGG) wurde mit 1.1.1989 durch ein neues Suchtmittelgesetz (SMG) abgelöst. Dessen primäres Ziel soll vor allem der, neben den schon im SGG vorgesehenen und davon übernommenen repressiven Maßnahmen gegenüber dem Drogenhandel, weitere Ausbau des Konzepts »Therapie statt Strafe« sein. Ein Konzept, das zumindest auf dem Papier »Drogensucht als Krankheit im psychosozialen Kontext« versteht und als Behandlungsmaßnahmen u. a. »risikominimierende und suchtbegleitende Maßnahmen« einfordert und vorsieht. Wobei die Tatsache, daß es bei dem neuen Gesetz nicht mehr »Suchtgift«, sondern »Suchtmittel« heißt, ebenso Rückschlüsse auf einen möglichen Wandel innerhalb der Gesellschaft (oder zumindest bei den Gesetzgebern) bezüglich der Sicht auf Drogen, Drogensucht und Drogenkonsum zuläßt, auch wenn immer noch in gewissen Medien von »Giftlern« die Rede ist und Jugendgruppen ab drei Personen, die beim Kiffen erwischt wurden, zu skandalträchtigen »Drogenringen« hochstilisiert werden. So stellt auch das Österreichische Bundesinstitut für Gesundheitswesen in seinem »Bericht zur Drogensituation 1997« fest, daß »Drogenberichterstattung in den österreichischen Medien weitgehend als Kriminalberichterstattung« stattfindet, wohingegen die sozialen Probleme im Zusammenhang oder in Folge von Drogensucht sowie soziale und familiäre Ursachen von Drogensucht nur selten Themen von Berichterstattungen sind. Gerade in einem Land mit der (legalen) Nationaldroge Alkohol muten viele Argumente und Kampagnen (z. B. »No Drugs«) wie ein moralinsaurer Mix aus Halbwahrheiten, Vorurteilen, Tabus, ungeschminkten Rassismen (die bekannten »schwarzen« und »osteuro- päischen« Dealer aus dem bekannten Kleinformat) und einer Politik des »Was nicht erlaubt ist, darf auch nicht sein« an. Allein die Debatte um die Liberalisierung von Cannabis zeigt, daß es hierbei nicht allein um die Frage etwaiger Gesundheitsgefährdungen oder um Suchtpräventionen geht. Selbst wissenschaftliche Expertisen bezüglich der erfolgversprechenden Anwendungsmöglichkeiten von THC-Produkten bei der Behandlung von Krebs und HIV-Infektionen werden immer wieder mit Verweisen auf den Mythos »Einstiegsdroge« und die Tatsache, daß THC-Produkte halt illegal sind, abgewiesen. Daß z. B. Nikotin gesundheitsgefährdender ist und das weitaus größere Suchtpotential in sich birgt, wird hierbei ebenso gerne unter den grünen Tisch gekehrt (bzw. durch Anhebung der Tabaksteuer abgehandelt) wie die Tatsache, daß laut dem Drogenbericht 1997 des ÖBIG gut zwei Drittel aller Heroin- und Kokain-Konsumenten schon vorher eine »Karriere« als »Problemtrinker«, d. h., Alkoholiker, hinter sich hatten. Soviel auch zum Thema »Einstiegsdroge«.

Um die Unterschiede zwischen medialer Drogenberichterstattung, politischer Meinungsmache und Drogenrealität ging es dann auch im Rahmen der als »sozialstad 8« veranstalteten Diskussion »Zwischen Leistungsgesellschaft und Endstation Bahnhofsklo«, die Anfang Oktober in der ARGE Nonntal über die Bühne ging. Wobei naheliegenderweise besonders die Situation in Salzburg, lt. ÖBIG-Bericht eine »bisher wenig betroffene Region«, deren Zahl an »problematischen Konsumenten im Zunehmen begriffen ist«, im Vordergrund stand.

Dazu Axel Magnus, Mitarbeiter im Verein SPAK: »Ein massives Hindernis für eine praxisorientierte Drogenpolitik in Salzburg stellt sicherlich das Fehlen eines offenen Dialogs dar. Haschisch interessiert die heutigen Kids nicht mehr. Jede Generation will die vorherige toppen. Daher ist Kiffen für Jugendliche kein größeres Abenteuer mehr als Saufen. Hingegen werden synthetische Drogen immer billiger. Dadurch fällt auch die finanzielle Hemmschwelle weg. Es gibt in Salzburg gewisse Siedlungen, wo fast jeder schon einmal Erfahrungen mit harten Drogen gemacht hat. Aber es gibt auch Leute, die sich bewußt für gewisse illegale Drogen und gegen Alkohol und Nikotin entscheiden. Ein sozialpolitischer Ansatz müßte daher davon ausgehen, daß es sich hierbei um eine eigene Entscheidung handelt. Wenn es immer mehr Leute gibt, die sagen, ich will mit Drogen leben, bitte helft mir, dann muß es Angebote geben, die ihnen ein Leben ermöglichen. Das kann von einer staatlichen Kontrolle des Verkaufs gewisser Drogen bis hin zu Heroin auf Krankenschein reichen. Wichtig ist jedoch zu differenzieren, daß es hierbei um den Schutz drogenkranker Menschen und nicht um den Schutz für Dealer geht. Es geht um eine Politik für drogenkranke Menschen. Da würde auch die Liberalisierung von THC-Produkten etwas anderes als die gesetzliche Erlaubnis zum Kiffen bedeuten. Wir haben jetzt einen Zustand, der Drogeneinrichtungen per Gesetz vorschreibt, daß sie sich um THC-Konsumenten kümmern müssen. Wären diese Produkte legal, könnte man sich um wichtigere Sachen kümmern. Generell wäre jedoch eine gleichzeitige Enttabuisierung aller Drogen wichtig. Nur so kann man den differenzierten Zielgruppen gerecht werden und Beratungsstellen einrichten, die keine therapeutische, sondern eine betreuende Funktion haben.«

Die Wichtigkeit des Umgangs mit Drogen bzw. der Hilfeleistung dabei stellt auch für den ehemaligen Leiter der Wiener Drogenberatungsstelle, Reinhard Liebe, ein Hauptkriterium moderner Drogenpolitik dar. »Man darf Drogensüchtige nicht entmündigen, sondern sie zu Selbstverantwortung und Selbstorganisation ermutigen und muß danach fragen, wo die Stärken dieser Leute liegen.« Diese »Erlaubnis zur Eigenverantwortung« steht jedoch im eklatanten Widerspruch zu Verhaltenskatalogen für Wiener Schulen, die auffällige SchülerInnen überführen sollen. Dazu Liebe: »Niemand fragt nach, ob diese Jugendlichen depressiv oder glücklich sind. Stattdessen wird der 14jährige Haschischraucher im Gegensatz zum 14jährigen Kampftrinker ein Problem. Drogen stellen auch eine Suche nach Nischen in unserer Leistungsgesellschaft dar. Gerade Jugendlichen werden diese von der Gesellschaft immer weniger geboten. Die Drogensucht ist ein Feindbild, die Konsumabhängigkeit aber nicht. Der Kapitalismus ist ohne Sucht, z. B. Alkohol oder Psychopharmaka, nicht denkbar. Solange die Arbeitsfähigkeit nicht beeinträchtigt wird, ist die Sucht nach legalen Drogen kein Problem.«

Bezogen auf die Situation in Salzburg ist derzeit wohl eher Träumen angesagt. Etwa von Einrichtungen in jedem Stadtteil, die den vielschichtigen Jugendszenen gerecht werden. Denn, so der Salzburger Drogenberater Manfred Hoy, »was für die einen niederschwellig ist, kann für die anderen das totale Gegenteil bedeuten. Die Orte müssen erst die Voraussetzungen für Problemdiskussionen erfüllen. So etwas ist beim herrschenden Sozial-Klima in Salzburg natürlich eine Utopie. Abgesehen davon, daß Institutionen in Salzburg immer nur auf ein Jahr finanziell abgesichert sind«. Auch fehle es an »integrierten Einrichtungen« und Drogenspezialisten, die auch Kommunikationsspezialisten sind. Hoy: »Je mehr Expertentum und Spezialistentum es gibt, desto größer wird die Schwelle. Wer eine Identität als Junkie hat und zu gewissen Spezialisten geschickt wird, wird in seiner Rolle als Junkie nur bestärkt. Das machen den Entzug und auch das Herauskommen aus der bisherigen Rolle nur umso schwerer.« Zusätzlich seien die Durchführungsmöglichkeiten des Konzepts »Therapie statt Strafe« in Salzburg äußerst minimal.

Dies bekräftigt auch Axel Magnus: »Das beginnt schon vor Gericht. Denn auch wenn sich der Drogenkonsum durch alle gesellschaftlichen Schichten zieht, kommt es dann doch vor Gericht zur sozialen Trennung. Ein Junkie hat etwa im Gegensatz zu einem sogenannten Prominenten gewisse Zugänge nicht. Auch geht es nicht an, daß er dann monatelang auf einen Therapieplatz warten muß.«

Auch für Manfred Hoy stellt sich das Thema Therapie als Problem dar. »Ein Entzug in Salzburg ist derzeit nur in der LNK möglich, eine Entgiftung außerhalb überhaupt nicht. Zusätzlich gilt nicht das Prinzip der freien Artzwahl wie bei einem normalen Arztbesuch. So gesehen kann eine Therapie auch nur daran scheitern, daß Süchtige nicht mit den Ärzten zurechtkommen. Da brauchen wir dringend veränderte Rahmenbedingungen und differenzierter spezialisierte Ärzte, wie es sie etwa in Wien gibt.«

Anmerkung: Laut Drogenbericht 1997 des ÖBIG haben ca. 10 bis 30 Prozent aller österreichischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen Erfahrungen mit »weichen« Drogen (Cannabis, etc.), 1 bis 3 Prozent mit »harten« Drogen (Heroin, Kokain) und ca. 3 bis 5 Prozent mit Ecstacy. Wobei es Ecstacy-Konsum auch in Gruppen gab, die bisher kaum in Hinblick auf den Konsum illegaler Substanzen auffällig waren.