november 1998

Romana Klär

»Suche Job, der mir gefällt«

Online lernen und arbeiten soll Mauern der Diskriminierung durchbrechen

»Zaach wars am Anfang«, erzählt Thomas, Anfang 20 und dennoch mit reichlich Erfahrung ausgestattet, wie's am Arbeitsmarkt aussieht: Die Bewerbungsschreiben, die der gelernte Bürokaufmann in Stadt und Land Salzburg an Betriebe geschickt hat, blieben unbeantworten. »Gehn hab ich mich lassen, g'soffen und g'raucht. Ich war ziemlich fertig, hatte einfach keine Perspektive, keinen Mut und keine Motivation.«

»Ein Job, der mir gefällt und mit dem ich meinen Lebensunterhalt bestreiten kann«, blieb auch für Herbert* jahrelang nur ein unerfüllbarer Wunsch. Für Arbeitgeber, die den Erfolg ihres Unternehmens durch flexible MitarbeiterInnen gesichert sehen, fallen BewerberInnen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, also nicht regelmäßig am Arbeitsplatz erscheinen können, weil Physiotherapie oder Arztbesuche nötig sind, aus der Kategorie »verläßliche ArbeitnehmerInnen« heraus.

Thomas ist seit einem Verkehrsunfall Rollstuhlfahrer, Herbert seit einem Badeunfall schwer körperbehindert und daher auf die Unterstützung anderer und auf seinen zweirädrigen Begleiter angewiesen. Vor 20 Jahren wurde er deswegen »in Pension geschickt« und schien als Arbeitsuchender nicht einmal auf.

Wieviele Menschen in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, läßt sich schwer herausfinden und in Zahlen ausdrücken. Zu ihnen zählen etwa RollstuhlfahrerInnen und DialysepatientInnen aber auch herzkranke Personen, die keine schweren körperlichen Arbeiten verrichten können und EpileptikerInnen. Der Bedarf nach adäquaten Jobs für diese oft noch jungen Leute, die als besonders schwer vermittelbar gelten, ist groß. Das Angebot gering, Vorurteile und die daraus resultierenden Mauern der Diskriminierung fest in unserer Gesellschaft verankert.

Herbert und Thomas kennen sich nicht und haben doch einiges gemeinsam. Beide haben in den vergangenen Monaten mit einem Teleschulungsprogramm begonnen, das ihnen den Einstieg in den »Ersten - also freien - Arbeitsmarkt« ermöglichen soll. Thomas im Techno Z in Salzburg. Herbert bei Online Teleschulung in Wien.

Online-Geschäftsführer und gelernter Volkswirt Georg Tschare über die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt: »Egal, ob Menschen diese Eigenschaften haben oder nicht: Behinderten wird unter anderem meist eine geringe Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit sowie wenig Flexibilität zugeschrieben. Selbst staatliche Förderungen für die Betriebe können diese diskriminierenden Zuschreibungen nicht kompensieren.«

Die derzeit relativ hohe Arbeitslosigkeit leistet dem ebenfalls Vorschub, da ein Marktausgleich über Preise - Löhne sind nach unten hin weitgehend starr - nicht möglich ist. Die anhaltend hohe und überproportional steigende Arbeitslosigkeit bei allen sogenannten Randgruppen des Arbeitsmarktes demonstriere dieses Arbeitsmarktgesetz sehr deutlich. Einen Ausweg sieht Tschare in der Nutzung von Teilmärkten/Nischen wie EDV und Neue Medien, wo es durchaus einen Nachfrageüberhang an Arbeitskräften gebe. »Diese ðVerkaufsmärkteÐ verunmöglichen Diskriminierung nach zugeschriebenen Merkmalen«, sagt Tschare. Die (technologische) Entwicklung schreite so rasch voran, daß der Bildungssektor nicht mehr Schritt halten kann. »Es finden sich immer neue Tätigkeitsfelder, die sich in relativ kurzer Zeit erlernen lassen - Interesse und Neigung vorausgesetzt. Zu diesen Berufsbildern zählt Tschare den »Webmaster« oder »Wegdesigner«.

Teleschulungsprogramme setzen genau hier an.

Neu bei den Projekten in Salzburg und Wien ist, daß im Vergleich zu herkömmlichen Kursen der Unterricht nicht an einem fixen Ort stattfindet, sondern daß computerversierte TrainerInnen die TeilnehmerInnen, die daheim an ihren Computerarbeitsplätzen sitzen, via Telefon und Datenleitung (ISDN) mit den verschiedenen Programmen sowie mit der vielseitigen Nutzung des Internets vertraut machen. Damit die Hände frei sind zum Bedienen der Tastatur, stehen ein Kopfhörertelefon und eine kleine Videokamera, die für die optische Verbindung sorgt und die Distanz zwischen den SchülerInnen und den TrainerInnen verringern hilft, zur Verfügung. Mehrere Stunden pro Tag sind die Rechner über die Datenleitung miteinander verbunden. »What You See is What I See«, heißt das in Wien verwendete Programm. Ein Trainer sieht auf seinem Bildschirm die Arbeitsfläche einer Kursteilnehmerin. Ein »Doppelklick« genügt, wenn er ihre »Maus« übernehmen will, um den Ablauf einer Aufgabe vorzuzeigen. Die Kurse dauern vier Monate - Bewerbungstraining und Kontaktaufnahme mit Firmen inklusive. Nach einem einmonatigen Praktikum werden seit Schulungsbeginn bereits mehr als 50 Prozent der TeilnehmerInnen in fixe Jobs vermittelt. Beratung und Begleitung während der ersten drei Monate im Job sind obligatorisch.

In Salzburg funktioniert die Schulung nach dem gleichen technischen Prinzip und dauert drei Semester. Vor wenigen Wochen starteten die zehn TeilnehmerInnen in das zweite Semester.

»So, wie die Leute während des Kurses lernen und sich organisieren, werden sie später für einen Betrieb arbeiten«, erläutert Projektleiter Eric-Jan Kaak.

»Seit dem Kurs machen die Tage wieder Sinn«, erzählt Thomas. Herbert hat sich bereits als Web-Designer in die Selbständigkeit gewagt. Damit der »Wiedereinsteiger« nicht in die Fallen der sozialen Ungerechtigkeiten neuer Selbständiger (Null Anspruch auf irgendwas und sowieso keinerlei Rechte) tappt und im Falle eines Scheiterns ins soziale Out purzelt, wurde mit der Versicherungsanstalt eine stimmige Vereinbarung getroffen: Das Einkommen wird einfach von der Pension abgezogen. Rentiert sich der neue Job für Herbert nicht, hat der Compi-Fachmann wieder vollen Anspruch auf seine Rente. Vordergründig bleibt die Chance, eigenes Geld verdienen zu können und nicht innerhalb der eigenen vier Wände in der Isolation verbannt verharren zu müssen. Für viele (mobile) ArbeitnehmerInnen kann Telearbeit durchaus soziale Isolation oder die Gefahr der Selbstausbeutung durch unregelmäßige Dienstzeiten nach sich ziehen, meint Online-Geschäftsführer Georg Tschare. Bei jenen, die ihre Wohnung ohne Hilfe nur schwer verlassen könnten, sei sie allerdings eine Chance, überhaupt am Erwerbsleben teilzuhaben. Immerhin hänge davon eine Gutteil Akzeptanz in unserer Gesellschaft - und daraus resultierend - Selbstwertgefühl ab.

Tschare: »Ich will dem Staat nicht auf der Tasche liegen«; diesen Satz kennt auch Jan-Eric Kaak. Mit Beginn der lern-intensiven Kurse sei das Selbstwertgefühl der TeilnehmerInnen hier wie dort jedenfalls gestiegen. Alternierende Telearbeit, d. h., daß ArbeitnehmerInnen regelmäßig persönliche Kontakt zu ihren KollegInnen in der Firma haben, ist den meisten TeilnehmerInnen sehr wichtig, erzählt Kaak. Entscheidend sei für ihn auch, daß sich in der Berufsorientierungs-Phase, die derzeit einen Schwerpunkt bildet, die Leute auf die »Realität« am Arbeitsmarkt vorbereiten. Kaak sieht die Zukunft nicht so sehr in »Trendjobs« wie in Bürotätigkeiten, die von immer mehr Betrieben ausgelagert werden.

»Unsere Schulung ist europaweit ein einzigartiges Pilotprojekt«, erläuterte Eric-Jan Kaak von der Abteilung Forschung und Entwicklung im Techno Z kürzlich bei einem Besuch des »kunstfehlers«. »Naja«, zeigte sich Georg Tschare, Geschäftsführer von »Online Teleschulung« in Wien - mit dieser Aussage konfrontiert - irritiert. Gemeinsam mit Hermann Huber und Erich Kraßnig habe er immerhin bereits 1996 eine Projektstudie, die vom Europäischen Sozialfond und vom Ausgleichstaxfond finanziert wurde, fertiggestellt. Wenig später begann der Verein Online Teleschulung mit seinem Kursprogramm.

Wem von den zwei Piloten, die beide um die knappen Gelder des Europäischen Sozialfonds (esf), - dem Finazier der Integrationsprojekte - bangen müssen, mehr Ehre gebührt, sei dahin gestellt. Die Nutznießer der Teleschulung, Menschen, die in ihrer Mobilität - aus welchen gesundheitlichen Gründen auch immer - eingeschränkt sind, sollten jedenfalls weder in Salzburg noch in Wien darunter leiden.

Inwiefern sich die Nutzbarmachung neuer Technologien auf eine andere, ebenfalls extrem benachteiligte Gruppe am Arbeitsmarkt auswirkt, will der Verein LAUBE in enger Zusammenarbeit mit der UNI Salzburg im «Club digital« herausfinden. Im kommenden Jahr werden in Hallein »Computerarbeitsplätze« geschaffen, an denen sich Menschen mit schwerer psychischer Beeinträchtigung mit Internet und der Vielzahl an Compi-Programmen vertraut machen können. Wer mitmachen will, braucht sich vorher nicht groß anmelden oder bewerben. Geldverdienen steht im nicht-subventionierten Club zwar nicht im Vordergrund. Dennoch haben sich bei Samba bereits Firmen gemeldet, die Aufträge an EDV-geschulte »Zulieferer« abgeben möchten. Im »Club digital« werden die MitarbeiterInnen herausfinden, ob die Arbeit mit den neuen Technologien den TeilnehmerInnen nützen kann. Vereinsamen sie vor dem Bildschirm oder stellt sich ihr Einsatz etwa als neues »therapeutisches Mittel« heraus?

Eigentlich wollte LAUBE 1999 eine Reintegrationsfirma gründen, bei der acht Betroffene einen fixen Job gefunden hätten. Drei Jahre lang wäre man auf die Unterstützung durch den Europäischen Sozialfond bzw. das Bundessozialamt angewiesen gewesen. Dann, so rechnet LAUBE-Geschäftsführer Alois Autischer, hätte sich das Unternehmen selbst getragen. »Man darf diese hochqualifizierten Leute, die eben nicht das ganze Jahr über voll im Büro-Einsatz stehen können, nicht aus dem Arbeitsmarkt ausschließen bzw. in den sonst üblichen ðhandwerklichenÐ Sparten wie Kuvertieren und Adressieren einsetzen«, sagt er. Diesmal wollte oder konnte man die »Geldspritze« nicht gewähren. Also hofft Autischer auf die nächste Verhandlungsrunde. Der Bedarf an qualifizierten Jobs für psychisch Kranke verändert sich bis ins Jahr 2000 sicherlich nicht.