november 1998

Thomas Silmbroth
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ÖH - Zwischen Reform und Selbstaufgabe

Österreichs gesetzliche StudentInnenvertretung kämpft ums politische Überleben

Beginnen wir ganz von vorne: Die Hochschülerschaft stellt durch ihren Status einer »Körperschaft öffentlichen Rechts« in ihrer Strukturierung und ihren Rechten ein System studentischer Vertretung dar, das in ganz Europa einzigartig ist. Durch die Immatrikulation, neuerdings »Zulassung«, und die Leistung des ÖH-Beitrags (öS 185,— pro Semester) ist man/frau automatisch Mitglied in der StudentInnenkammer. Die so lukrierten 80 Millionen werden für Leistungen und Aktivitäten verwendet, die bei vielen Studis heute Selbstverständlichkeit geworden sind: Beratungen über Fragen zum und rund ums Studium, Bereitstellung von Wohnungs-, Job- und sonst irgendwelchen Börsen, Büromittelverkauf...

Gemäß den »bürokratischen Grundsätzen« unseres Landes ist auch die »StudentInnenkammer« ÖH streng hierarchisch strukturiert. Der erste Kontakt zwischen Studis und ÖH’lerInnen ergibt sich meist auf der untersten Ebene, den Studienrichtungsvertretungen. Sie leisten Basisarbeit für die Studierenden - vor allem Erstsemestrige - in den einzelnen Studienrichtungen. Falls hier irgendetwas nicht klappt, entsteht schnell ein negatives Bild der ÖH, betrifft dieser Bereich die Studierenden doch am unmittelbarsten.

Im Hauptausschuß (HA) sind politische Fraktionen um das Wohl der Studierenden in ihrer Uni-Stadt bemüht. Da aber unterschiedliche Fraktionen oft unterschiedliche Standpunkte vertreten, ist so mancher Crash unausweichlich. Die »richtig große Politik« wird im Zentralausschuß (ZA), dem obersten Bundes-Gremium der ÖH, gemacht.

ÖH Salzburg: Ampelexekutive

Im HA der Uni Salzburg stellt seit den Wahlen 1997 eine rot-grün-liberale Koalition die Exekutive. Die »Ampel« aus dem »Verband Sozialistischer Studentinnen und Studenten Österreichs« (VSStÖ), den »Grünen und Alternativen StudentInnen« (GRAS) sowie dem »Liberalen StudentInnenforum« (LSF) hält derzeit sieben der dreizehn Hauptausschußsitze. Die ÖVP-nahe »AktionsGemeinschaft« befindet sich ebenso in der Opposition wie der bei den Wahlen 1997 erstmals wieder zu einem Mandat gelangte FP-Verein RFS.

Schon während die Ampel-Koalition die Referate neu besetzte und ihre studentInnenpolitische Arbeit neu zu gewichten versuchte, wurden aus dem bürgerlichen Lager bereits die ersten Attacken gegen die ÖH-Spitze geritten. So war etwa im Jänner dieses Jahres von der Förderung »zweifelhafter, politischer Projekte« die Rede, »in die zigtausende Schillinge des ÖH-Budgets fließen würden«. Gemeint hat die AG die Unterstützung der Ausstellung »Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht« mit 30.000 Schilling. Ähnliche Aussagen von VP-Landes- und Stadtpolitikern sind wohlbekannt. Die Bürgerlichen warfen ÖH-Vorsitzenden Gert Schaider (VSStÖ) Kompetenzüberschreitung vor und reichten eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Ministerium ein. Dort sah man jedoch »keinerlei Anlaß zu aufsichtsbehördlichen Maßnahmen«.

Viele solcher Fraktionsdifferenzen - wie etwa jene um die Schwulen und Lesbischen Uni-Gruppe SLUG - dringen meist kaum bis zu den Studierenden vor. Eine gewisse politische Gleichgültigkeit hat sich in den letzten Jahren unter den Studierenden breitgemacht, was nicht heißen soll, daß früher alles besser gewesen wäre. Mit Problemen wie etwa der großen Fluktuation bei FunktionärInnen und AktivistInnen hatte die ÖH schon immer zu kämpfen.

Derzeit haben in Salzburg einige Fraktionen eklatante Personalprobleme. Die Salzburger GRAS’lerInnen schaffen es zwar noch irgendwie, ihre drei Hauptausschußmandate zu besetzen, im übrigen muß man/frau sich aber schon gehörig anstrengen, um Spuren von grüner Studierendenpolitik zu entdecken. Ähnliches gilt auch für den Kommunistischen StudentInnenverband/Mit Linx, dessen AktivistInnen sich auch nicht allzuoft mit studienpolitschen Statements an die Öffentlichkeit wagen. Fraktionen wie die erzkonservative JES (Junge Europäische Studenten) oder »Uni 2000« treten ausschließlich zur Wahlzeit mit vereinzelt postierten Plakatständern in Erscheinung.

ÖH-Reform oder...

Die mangelnde Identifizierung der/ des einzelnen mit der ÖH ließ in den letzten Jahren die Wahlbeteiligung in den Keller fallen. Die bundesweiten 27,6 % vom Mai des Vorjahres waren der absolute Tiefststand (in Salzburg noch weniger!). Eine umfassende Reform der ÖH und das klare Handeln im Sinne der Studierenden waren die frommen Vorsätze, die die Bundesvertretung unter ihrem neuen Zentralausschußvorsitzendem Wolfgang Gattringer (AG) daraufhin gefaßt hatte. Ein im März dieses Jahres beschlossener Reformvorschlag sollte ein Meilenstein in der Entwicklung der Hochschülerschaft werden. Hauptziel der Neuerungen sei »eine effizientere, transparentere und demokratischere Interessensvertretung«, so Gattringer. Konkrete Punkte sind beispielsweise die Einführung des passiven Wahlrechts für ausländische Studierende, die rechtliche Stärkung der unteren ÖH-Ebenen sowie die Festlegung, nur mehr fünf Referate (Bildungspolitik, Sozialpolitik, wirtschaftliche Angelegenheiten, Koordination, allgemeinpolitische Aufgaben) verpflichtend zu besetzen. Eine Novelle des Hochschülerschaftsgesetzes, kurz HSG, soll die Grundlage für die Neuerungen bilden. Das Reformkonzept liegt derzeit beim Ministerium zur Begutachtung auf (bei Redaktionsschluß lief die Begutachtungsfrist noch). Die novellierte Fassung des HSG sollte mit Jänner 1999 in Kraft treten, da Gesetzesmühlen aber bekanntlich nicht die schnellsten sind, werden die Maßnahmen frühestens zu den Wahlen im Mai 2001 greifen.

...Demontage von innen

Doch nicht alle im ZA wollten da mit. Die Plattform »ÖH-neu« sorgte Anfang März, noch vor Beschluß des Reformkonzeptes, mit ihrem Vorstoß, den ZA einfach abzuschaffen und ihn durch eine Vorsitzendenkonferenz zu ersetzen, für Aufregung. Gebildet wurde die Plattform aus VertreterInnen der sechs Kunsthochschulen sowie Vertretern der Hauptausschüsse an den Unis Graz, TU Graz, TU Wien und der VetMed Wien. Die maßgeblichen Fraktionen, die für diese »Demontage von innen« verantwortlich zeichnen, sind die Fachschaftslisten Österreich (FLÖ) und, wie könnte es anders sein, der FPÖ-Ableger RFS. Plattform-Sprecher Christian Smretschnig, gleichzeitig Bundesobmann der FLÖ, äußerte sich im »Standard« dahingehend, daß dem ZA das Prädikat ðwertlosÐ zu verleihen sei, da er nur mehr durch lächerliche Beschlüsse auffalle und sich nicht mehr ausreichend um die Anliegen der Studierenden kümmere.

Eine weitere zentrale Forderung von »ÖH-neu« ist die Entsendung von Juristen, Wirtschaftsfachleuten und Sozialarbeitern in die Referate der Bundesvertretung. Sie sollen anstelle von Studierenden für mehr Professionalität sorgen. Die geforderte Vorsitzendenkonferenz, die nach Vorstellungen von »ÖH-neu« die bundesweite Vertretung übernehmen soll, würde sich aus den HA-Vorsitzenden der 18 Universitäten und Kunsthochschulen zusammensetzen und soll dann auch den Bundesvorsitzenden wählen. Hauptargument: »Die Vorsitzenden der Hauptausschüsse wissen besser über die Probleme der Studierenden Bescheid, der ZA agiert zu abgehoben und ist zu teuer«.

Die ÖH-Spitze kommentierte die Forderungen ablehnend; das Ministerium ging erst gar nicht darauf ein. ÖH-Chef Gattringer: »Die Wichtigkeit einer repräsentativen Bundesvertretung ist einleuchtend, ein einheitliches Auftreten gegenüber Verhandlungspartnern muß gewährleistet sein. Einzelinteressen von Hauptausschüssen können und dürfen nicht die gesamte ÖH-Arbeit dominieren.«

ÖH-Wahl im Mai 1999

Ob und wann nun die Novelle das HSG greifen wird, ist unklar. Dafür wird wohl die nächste ÖH-Wahl im kommenden Mai ein wichtiger Indikator sein. Sollte die Wahlbeteiligung nochmals sinken, wäre das nicht nur ein politisches Armutszeugnis für Österreichs Studierende, sondern auch mit ziemlicher Sicherheit der Anfang vom Ende der ÖH.

Fehlendes Engagement von seiten der Studierenden darf aber nicht immer als Desinteresse gedeutet werden. Eine Großteil der Studierenden steht unter großem finanziellen Druck und muß sich deshalb aufs »Fertigwerden« konzentrieren. Eine vom Institut für Angewandte Soziologie durchgeführte Erhebung über die soziale Lage von Studierenden spricht eine klare Sprache. Rund 20 Prozent aller Studierenden müssen einem Nebenjob nachgehen, um überhaupt studieren zu können, etwa acht Prozent verschulden sich sogar. Nur rund 45 Prozent der Studierenden können sich sorgenfrei um ihre Ausbildung kümmern. Ab dem 9. und 10. Semester gehen rund 60 Prozent einem Nebenjob nach. Für StudentInnenpolitik bleibt da wenig Zeit.