dezember 1998

Didi Neidhart
gelesen

Thomas Meinecke: Tomboy

Suhrkamp 1998, 251 Seiten

Auch im zweiten Suhrkamp-Roman des bei München lebenden Musikers (FSK), Deejays und Schriftstellers Thomas Meinecke geht es um die Frage wie Identitäten konstruiert werden. Ging es beim Vorgänger »The Church Of JFK« vor allem um nationale/ethnische Zuschreibungen, so finden sich die ProtagonistInnen von »Tomboy« mitten in aktuellen »Gender Trouble«-Diskursen wieder. Grob gesagt geht es um eine Gruppe von StudentInnen unterschiedlichster sexueller Präferenzen, die ihre Studien über Weininger, Lacan und Judith Butlers dekonstruktivistischen Feminismus (»Das Unbehagen der Geschlechter«) nicht nur wegen des Stundenplans betreiben. Meinecke schickt sozusagen diese Theorien durch seine ProtagonistInnen und diese wiederum durch die Theorien. Daß es hierbei auch zu beinah torhaftem Scheitern bei Konstruktionsversuchen von »Identität(en)« kommt, liegt nur auf der Hand, macht »Tomboy« jedoch umso sympathischer. Hier schreibt kein allwissender Autor über amourös-philosophische Irrungen und Wirrungen auf dem Campus. Statt dessen nimmt Meinecke die Position eines Sympathisanten/ Fans ein, der sich wie seine Romanfiguren mit philosophischen Paradoxien und den Problemen ihrer Anwendugen in der Praxis herumschlagen muß. Was durchaus Lust bereiten kann. Denken macht eben Spaß. Die Frage »Warum kann ein Mann nicht lesbisch sein?« sowie die Feststellung »I Gave My Cock A Woman's Name« sind dabei nur zwei »Highlights« unter vielen. Dazu kommt Meineckes eklektizistischer Sprachstil, der eher an DJ-Techniken erinnert (Sampeln, Mixen, Remixen, Cut-Ups), denn an vergleichbare literarische Genres. Bei aller Komplexität des Themas und der sprachlichen Struktur entwickelt »Tomboy« jedoch beim Lesen einen regelrechten Free-Flow (Free Jazz-Passagen miteingeschlossen). Eine qualitative Steigerung ist da fast nicht mehr denkbar. Unbedingt reinlesen!