dezember 1998

Gudrun Seidenauer

»Germanischer Wissenschaftseinsatz«

Über Claus Leggewies Buch »Von Schneider zu Schwerte«

»Falscher Professor aufgeflogen: Ex-Nazi als Wissenschafter« So titelten am geschichtsträchtigen 8. Mai 1995 die Salzburger Nachrichten in tagesjournalistischer Lässigkeit eine erstaunliche Kunde: Hinter dem linksliberalen Ex-Honorarprofessor der hiesigen Germanistik, Hans Schwerte (der zwar keineswegs ein falscher Professor ist), verberge sich der preußische SS-Sturmbannführer im »Germanischen Wissenschaftseinsatz« und Mitarbeiter der Himmlergründung »Ahnenerbe« namens Dr. Hans Ernst Schneider. In Deutschland – Schwertes Hauptwirkungsorte waren Erlangen und Aachen – folgte auf eine Schockphase dem Rauschen im Blätterwald intensive Nachforschung. Vom Gießener Politologen Claus Leggewie liegt nun die spannend zu lesende und kenntnisreiche Untersuchung »Von Schneider zu Schwerte. Das ungewöhnliche Leben eines Mannes, der aus der Geschichte lernen wollte« vor. Ironisch spielt der Untertitel auf das Genre des Bildungsromans aus dem 19. Jahrhundert an, der die Geschichte der inneren und äußeren Entwicklung eines "Helden" im Spannungsverhältnis zur Gesellschaft erzählt. Leggewie versucht nicht weniger, als die wesentlichen Schritte des langen Wegs von Königsberg nach Aachen (wo Schwerte bis 1973 Rektor der TU war) zu dokumentieren und ihren sozialhistorischen Kontext in der jungen Bundesrepublik zu erhellen, ohne jedoch im Jahrhundert Freuds zu überspringen, daß die biographische Wahrheit nicht so einfach zu haben sei. Bewußt hält Leggewie Abstand zu psychonalytischen Spekulationen über die diachrone Schizophrenie seines Protagonisten. Vielmehr stellt er die Bedingungen des geistigen Klimas des Bundesrepublik von den frühen 50er Jahren bis in die 70er so dar, daß Schwertes allmähliches sich Freischreiben von einer völkisch-nationalen Literaturbetrachtung hin zu beachtlichen ideologiekritischen Positionen im großen Bogen einiger Jahrzehnte nachvollziehbar wird. Damit gelingt es Leggewie, den hartnäckigen, aber unwahrscheinlichen Mythos einer plötzlichen Bekehrung vom Saulus zum Paulus zu korrigieren, als auch dessen ressentimentgeladenes Gegenstück von der perfekten demokratischen Tarnkappe eines alten Nazis zu entlarven. Das Buch macht die Differenziertheit des Falls deutlich und zeigt die Stärke, moralische Eiferei nicht über mögliche Erkenntnis triumphieren zu lassen. Schwertes Annäherung an die Literatur der Moderne und seine diskursive Haltung gegenüber der politisierten Studentengeneration der Nach-68er sieht der Autor ein Stück weit als prototypische Einstellungen einer - die Bundesrepublik quasi mitdemokratisierenden - Intellektuellenelite im Beamtenstatus, zu der Schwerte (wieder) gehörte. Doch auch dem jungen SS-Mann und dessen Aufgaben als Naziideolge in »den germanischen Bruderländern« werden genaues Augenmerk geschenkt. Daß Leggewie im Unterschied zu den meisten anderen zum Fall Publizierenden das persönliche, und wie er bemerkt, niemals leichte Gespräch mit dem hochbetagten, jedoch geistig agilen Schwerte und dessen Frau gesucht hat, wird zum besonderen Vorzug des Buchs, dessen Hauptthese gewissermaßen eine genaue Umkehrung der gängigen Dämonisierung – Schwerte gewissermaßen als ein mit niemandem vergleichbarer Jekyll (und Hyde) - bildet: Schwerte-Schneider verkörpere gerade in allem Gespaltensein wie kein anderer die Geschichte der Deutschen in diesem Jahrhundert. Deren Verdichtung in einer einzigen Person mit ihren qualitativ nicht einmal ungewöhnlichen Abspaltungsfähigkeiten bleibt freilich rätselhaft und durchaus abgründig, was den Wert von Leggewies Arbeit keineswegs schmälert. Gerade ihre Selbstbeschränkung auf die sozialhistorische Fragen, die vieles offenlassen müssen, befördert dort ein vertieftes Verständnis des verstörenden Falls.

Claus Leggewie: Von Schneider zu Schwerte. Das ungewöhnliche Leben eines Mannes, der aus der Geschichte lernen wollte. Carl Hanser Verlag. München Wien 1998. 363 S.