dezember 1998

Doc Holliday

Dub: Die Mutter aller Remixe

Über die Erfindung des Dub und das Prinzip Reduktion

Über die Erfindung des Dub kursieren verschiedene Anekdoten. Ein Name aber taucht in all diesen Geschichten auf: KING TUBBY, der 1989 in Kingstons erschossene, legendäre Mixer, Produzent, Studio- und in späten Jahren auch Labelbesitzer. Eine Theorie besagt, daß der King während der Arbeit an einigen Ska-«Specials« (das sind Exklusivaufnahmen) für SIR COXSONE`S Downbeat System damit begonnen hatte, die Instrumente auszufaden, um den Gesang zu überprüfen. Als er die Musik wieder dazumischte, war er vom Soundeffekt derart angetan, daß er die verschiedenen Spuren mehrmals mischte und dazu noch mit den Baß- und Höhenreglern spielte. Wichtig sind auch die seit den 50ern bekannten Sound Systems. Die B-Seite einer Single, »Version« genannt, war die Instrumentalfassung eines Hits. Einige DJ`s, wie PRINCE BUSTER und DUKE REID, verfeinerten den Sound dieser Versions, indem sie live ins Mikro dazusangen. Erst 1967 wurde die erste Plattenaufnahme im »Talk over« oder »Toasting« style eingespielt. Damals wurde es Standard, daß die Single-B-Seite eine Dub-Version war. Spricht man von den Wurzeln des Dub, darf ein Name nicht unerwähnt bleiben: LEE »SCRATCH The Upsetter« PERRY ist ein Großmeister seines Fachs. Ob er nun der wahre Erfinder des Dub ist, braucht nicht zu interessieren. Unstrittig ist, daß er bereits in seinen Mixerlehrjahren bizarre Soundeffekte verwendete (Babygeschrei, zerbrechendes Glas, Hupen, Kuckucksuhren, Glocken, Bombenexplosionen, Büffelherden, elektronische Verfremdungen, Zisch- und Blubbergeräusche...). Zusammen mit JOE GIBBS trieb Perry die Soundmanipulationen auf die Spitze, hin in Richtung einer »freien Experimentalmusik«. Nicht von ungefähr inspirierten diese Extravaganzen einen jungen Adrian Sherwood (am 15.12. in der ARGE zu erleben) dazu, selbst mit der Klangbastelei zu beginnen. In den späten 80ern arbeiteten beide dann endlich zusammen. Scratchs Sound irritiert selbst im verrückten Kosmos der Dub-Ingenieure und bleibt einzigartig. In seiner Anfangszeit verdingte er sich als Radio-Reparateur. Einige Jahre später kamen ihm diese Fähigkeiten sehr zupaß. Er bastelte sich sein eigenes Mischpult. Im Dub verstärkte sich eine Tendenz: das Aufnahmestudio selbst wird zum Instrument, der Tonmeister zum Musiker. Etwa zeitgleich mit den ersten Dub-Einspielungen in den 60er Jahren steht der Name des Produzenten PHIL SPECTOR für eine ähnliche Entwicklung in der Popmusik. Mit einem entscheidenden Unterschied: mit Spectors »Wall Of Sound« begann eine Phase der totalen Überproduzierung. Man versuchte möglichst viele Instrumente, Effekte und Tonspuren auf einem Titel unterzubringen (was durchaus seine Reize hat). Dub aber ist das genaue Gegenteil. Im Dub herrscht das Prinzip Reduktion. Weniger ist mehr! Eine Arbeitsweise, wie sie in den späten 70ern auch im Disco-Sound üblich war. Zeitgenössische Dancefloor-Remixe hingegen funktionieren eher durch das Hinzufügen weiterer Instrumente und neuer Melodien. Im Dub wird z. B. der Gesang herausgenommen und ein Fetzen der Vocals mit Echo wieder eingeblendet. Die meditativen Stimmungen lassen eigene Bilder im Kopf und neue Bedeutungen entstehen. Man zerlegt einen Song, fügt die Einzelteile neu zusammen und gibt ihnen damit eine andere Bedeutung. Durch diese Montage ähnelt der Dub stark avantgardistischen Kunsttechniken, etwa dem Cut-Up, dessen Erfinder William S. Burroughs Mitte der 60er Jahre Jamaika bereiste! Adrian Sherwood, der große »Wiederentdecker« des Heavy-Dub in Großbritannien, der durch seine Arbeit mit unzähligen Künstlern von beiden Inseln (erwähnt sei hier nur noch der großartige, 1983 ermordete PRINCE FARI), als Brückenbauer zwischen beiden Welten gelten muß, konstatiert zusammenfassend: »Dub ist Meditation. Man fühlt sich wie berauscht. Im Dub hört man Dinge, die gar nicht da sind, man stellt sich selbst kleine Melodien oder Geräusche vor«. Dies kann wohlgemerkt auch ohne Zuhilfenahme komisch aussehender und ebenso riechender Rauchstäbe erreicht werden. Zur schwebenden Seite des Dub kommt noch eine kämpferische. Dub ist Protestmusik und fordert zum Widerstand gegen alle Ungerechtigkeiten auf. »Smash Babylon« ist keine Regieanweisung aus einem Monumentalfilm, sondern heißt ganz einfach: Weg mit dem Dreckssystem aus Rassismus und Ungleichheit! Diese Attitüde, Sound und Arbeitsweise, übten großen Einfluß auf die unterschiedlichsten Musikstile aus: von (Post-) Punk (CLASH, SLITS, PIL, POP GROUP...), Hardcore (TREPONEM PAL...), bis zu Trip Hop, House und Drum & Bass (ROCKERS HIFI...). Mußte man vor einigen Jahren noch befürchten, daß Dub durch den Einzug in die Club-Culture von Schicki-Micki-Zirkeln vereinnahmt werden könnte, zeigt sich nun die Resistenz und Größe dieser mächtigen Sounds.

Hörtips - Kleine Auswahl:

Lee Perry:

»King Tubby Meets The Upsetters At The Grass »Roots In Dub«

»Blackboard Jungle Dub«

»Super Ape«

King Tubby:

»The Dubmaster Presents The Roots Of Dub«

mit Yabby You: »Time To Remember«

und Augustus Pablo: »King Tubby Meets Rockers Uptown«

Dennis Bovell/Linton Kwesi Johnson:

»LKJ In Dub«-Serie

Joe Gibbs:

»African Dub«-Serie

Prince Far I & The Arabs:

»Cry Tuff Dub Encounter«-Serie

Burning Spear:

»Garvey`s Ghost«

Mad Professor:

»Dub Me Crazy«-Serie

Uneingeschränkt empfehlen kann man alle Tonträger der Labels »Blood And Fire« und »Pressure Sounds«, die beide auf Wiederveröffentlichungen klassischer Alben spezialisiert sind.