dezember 1998

Didi Neidhart

Understanding The Alien

Afro-Futurismus zwischen Free Jazz, Techno, Drum´n´Bass

Was bedeutet die Zuschreibung »Alien«? Was ist »Afro-Fururismus«? Was verbindet Detroit-Techno und Drum'n'Bass mit Sun Ra, George Clinton und Lee »Scratch« Perry? Alles Fragen, die spätestens seit John Akomfrahs 1995er Semi-Dokumentation »The Last Angel of History« maßgeblich das Denken über/um »Black Music« (mit-)geprägt haben. Mögliche Antworten liefert nun der von Diedrich Diederichsen herausgegebene Band »Loving The Alien« (u. a. mit Beiträgen von Mark Dery, Paul Gilroy, John F. Szwed, Kodwo Eshun, Edward George, Greg Tate).

BLACK TECHNOLOGIES

»Afro-Futurismus«, so betont der New Yorker Journalist Mark Dery, »ermöglicht die Beschreibung eines beunruhigenden Widerspruchs: Kann eine Gemeinschaft, deren Vergangenheit mutwillig ausgelöscht wurde, und deren Energien infolgedessen von der Suche nach lesbaren Spuren ihrer Geschichte absorbiert werden, sich überhaupt eine mögliche Zukunft vorstellen?«

Ein Schlüssel zur Lösung dieses Widerspruchs liegt im Gebrauch moderner Technologien entgegen ihrer Gebrauchsanleitungen. Schon in den frühen 60ern stellte Sun Ra Ähnlichkeiten zwischen prä-elektronischer afrikanischer/afro-amerikanischer und elektronischer Musik fest. Beide, so John F. Szwed in seiner Sun Ra-Biographie »Space Is The Place«, fungieren innerhalb der westlichen Kultur als eine Art »Verzerrung« der klassischen, wohltemperierten Funktionsharmonik. Elektronische Verzerrungen und Manipulationen von Klangmaterial wurden dann auch zu wichtigen Komponenten innerhalb der »Black Music« (Davis, Hendrix, Dub, P-Funk, HipHop, Techno, Drum'n'Bass). In den 70ern benutzten Dub-Producer wie Lee »Scratch« Perry und HipHop-DJs wie Grandmaster Flash ihr technisches Equipment (Mischpult, Plattenspieler) dazu, um nach diesen»lesbaren Spuren« einer mutwillig ausgelöschten Geschichte zu suchen, diese zu rekonstruieren und experimentierten dabei gleichzeitig mit neuen, »afro-futuristische« Techniken (Stichwort »Cut'n'Mix«) herum. Spätestens seit »Sampling« können diese »Spuren«/»Tracks« als digitale Datenbanken gespeichert und als sozial wie historisch kontextualisiertes »Archiv afroamerikanischer Musikgeschichte« (Diedrich Diederichsen) verwendet werden. Erst dieses jederzeit abrufbare Datenarchiv ermöglichte es »die Vergangenheit zu kennen und zu akzeptieren, um sich dann von ihr zu befreien«, so der Londoner Kulturwissenschaftler Paul Gilroy. Das heißt auch, daß unter »afro-futuristische« Gesichtspunkten Techniken wie Sampling, Scratchen, Dubbing und DJing westlichen Denkstrukturen nur bedingt verpflichtet sind. Grooves kennen keinen »Autor«, Breakbeats, (atonale) Basslinien und (dissonante) Geräusche/Sounds übernehmen die Funktion von Melodien und verschieben so jene Kategorien, die z. B. in der Rockrezeption als »Text« (Lyrics) fungieren. Womit sich der Kreis zu den afrikanischen »Talking Drums« wieder schließt, jedoch betont werden muß, daß diese »Black Secret Technologies« nicht an eine Kategorie wie »Hautfarbe« gekoppelt sind. Die Probleme, die »weiße« HörerInnen damit haben sind somit auf der Ebene reiner »Ge- schmacksfragen« (gefällt mir nicht, immer das Gleiche, Platten auflegen kann ich auch) nicht lösbar. Auch Hörgewohnheiten sind ideologisch geerdet.

BLACK POLITICS

Wenn Gilroy feststellt, »rassistische Zuschreibungen haben für die heutigen Gesellschaften immer schon eine besondere, konstitutive Rolle gespielt« muß auch gefragt werden, »inwieweit ist das neuerwachte Interesse an zerstreuten schwarzen Kulturen - Formen von »blackness« - mehr als der Ausdruck einer Werbebranche, die um die nun offensichtlicher werdenden Grenzen eines vermeintlich endlosen Konsums und Wachstums fürchtet?« Durch diesen rassistischen Blick werde »blackness« zu einem Synonym für Gesundheit, Fitness, Vitalität, Eleganz und »hyper-maskuline Potenz«. »Statt auf den Geist wird sich hier auf den Körper bezogen. Schönheit und Kraft seien natürliche Eigenschaften, keine kulturellen Zuschreibungen.« Diese Reduktion von »blackness« auf eine reine »Repräsentation des Biologischen« (»Rhythmus im Blut«) sei Zeichen dafür, daß Artefakten der »black culture« soetwas wie Intellektualität und/oder theoretische Grundlagen schlicht abgesprochen werde. Gerade die »Begeisterung für schwarze Exotik oder Kitsch relativiert die oftmals vorhandene Faszination für schwarze Avantgarden«, so Gilroy in Anspielung auf »weiße« Rezeptionsmuster bei Sun Ra, Dub-Reggae und HipHop. Jedoch sollten sich »weiße« HörerInnen, die den berühmten Black Panther-Slogan »It's A Black Thing You Won't Understand« als Aufforderung zum Diskurs verstehen, nicht mit Definitionen zufrieden geben, die »afro-futuristische« Avantgarden zwischen den Polen »SF-hafter Futurismus« und »magische afrikanische Wurzeln« ansiedeln (Erik Davis über den Dub-Pionier Lee »Scratch« Perry), zufrieden geben. Diese »ultra-modernen und ultra-primitiven Zuschreibungen« unterstellen eine »hybride Identität«, die erneut eurozentristisch geprägt sei und auch für rassistische Zwecke instrumentalisiert werden kann. Es sollte auch nie vergessen werden, daß hippe Diskursschlagwörter wie »Hybridität«, »Nomadologie«, »Dissidenz« und eben auch »Aliennation« in afro-amerikanischen Diskursen andere Bedeutungen und Ausgangspunkte haben, da sie Umstände und Taktiken bezeichnen, die sich die davon Betroffenen und damit Hantierenden nicht selber ausgesucht haben. »Schwarze Menschen leben die Entfremdung, die sich SF-AutorInnen ausmalen.« (Greg Tate) Für Gilroy ermöglicht jedoch gerade das Science Fiction-Genre die Proklamation einer »radikalen Differenz«. »Ihr Bezug auf Kräfte jenseits diese Planeten ist Teil einer Kritik an (...) Rassenlehren und Rassenideologien«, die »in verschlüsselder Form die zweifelhafte, an Territorien gebundene rassistische Ethik untergraben.« Es ist sicherlich kein Zufall, daß der erste TV-Kuß zwischen Schwarz und Weiß auf der Kommandobrücke der »Enterprise« (zwischen Cpt. Kirk und Lt. Uhura) passierte, Martin Luther King »Star Trek«-Fan war und Guion Bluford, der erste afro-amerikanische Astronaut, u. a. George Clintons »Mothership Connection« als für seine Berufwahls nicht unwesentlich beschreibt.

Diedrich Diederichsen (Hg.) LOVING THE ALIEN.

Science Fiction, Diaspora, Multikultur,

ID Verlag 1998, 216 Seiten, ca. 270.- öS