dezember 1998

Günther Marchner

Kulturpolitik als Verläßlichkeit

Zur Ära des Kulturlandesrates Othmar Raus: Ein Rückblick nach vorne

Im Frühjahr 1999 wird der Salzburger Landtag neu gewählt. Kulturlandesrat Othmar Raus wird sich, nach fast 10jähriger Ressortzuständigkeit, wieder um sein Amt bewerben. Dafür legt er Argumente in die Waagschale: Stabilität und Kontinuität der Förderpolitik und seine Verläßlichkeit und Seriosität als Partner. Während seiner bisherigen Amtszeit hat sich der kulturpolitische Kontext verändert: vom Aufbruch und emphatischen Programmen, die z. B. im Erdrutschverlust der Stadt-SPÖ 1992 verschwanden, hin zu einem Pragmatismus der Beständigkeit und einer Verwaltung des Erreichten. Die 90er Jahre standen, auch in Salzburg, im Zeichen des vielzitierten ‘rasenden Stillstandes’: mit einem bunten ‘herzeigbaren’ Kulturleben und eingespielten Förderritualen - mit viel Beständigkeit, aber wenig Innovation.

Markenzeichen einer Ära

Als Raus’ Amtszeit begann, ging gerade ein kultureller Aufbruch in seine Auslaufphase über. Die Grundzüge für das gegenwärtige Netzwerk an zeitgenössischer Kultur in Stadt und Land Salzburg waren gelegt. In den 90er Jahren wurde nachgebessert, abgesichert, besser ausgestattet. Manches lange Geplante (Petersbrunnhof) wurde realisiert. Raus setzte als ‘Unterstützer eines neuen Weges’ die kulturpolitische Antwort auf den kulturell- infrastrukturellen Nachholbedarf der 80er Jahre in Salzburg fort. Während seiner Amtszeit wurde, so Raus, das Angebot der freien Kultur »so intensiv wie noch nie«.

Die Budgetentwicklung für die freie Kultur in den 90er Jahren war sowohl durch Erhöhungen als auch durch Einbrüche geprägt. Vor diesem Hintergrund ist Kulturlandesrat Raus in die Rolle des verläßlich-gesprächsbereiten Partners für Kulturstätten und des Trouble-Shooters bei politischen Angriffen und finanziellen Bedrohungen hineingewachsen. Sparkurse von Stadt und Land Salzburg (1994/95) und politische Einbrüche (Bürgermeister Dechant als Kulturressortleiter) wurden durch Raus abgefangen und »bis heute ist noch niemand zugesperrt worden«.

Raus hebt vor allem die Kontinuität und Stabilität seiner Förderpolitik hervor. »Ich habe mich immer bemüht, daß der Budgetanteil annähernd gleichbleibt«. Überblickt man jedoch die Kulturbudgetierung des Landes Salzburg in den 90er Jahren, so stößt man auf zwei Tatsachen. Erstens: Die Stabilisierung des Budgets für die freie Kulturförderung erfolgte auf dem Niveau prekärer Rahmenbedingungen. Denn der Finanzierungsstand entspricht laut Dachverband Salzburger Kulturstätten nicht dem (errechneten) Bedarf in der Höhe von 3,5 Promille des Landeshaushaltes. Derzeit sind es 2,7. Zweitens: Der Kulturbudgetanteil am Landeshaushalt sank in den letzten 10 Jahren permanent (Haushalt 88: noch über 3%, Voranschlag 98: 2,16%).

Programmatisch beschränkt sich Landesrat Raus auf die Grundsätze: ‘Freiheit der Kunst’, ‘Vielfalt ermöglichen’, ‘Beständigkeit’. Von (Stadt-) Politik und Boulevardpresse angegriffene und skandalisierte Kulturstätten hat er verteidigt. Und er hat sich auch immer wieder für freie Kultur und kritische Initiativen positioniert, wenn auch vorsichtig, wie z.B. für die Ausstellung ‘Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944’ im Frühjahr 98. Und er möchte seine bisherige Amtszeit vor allem an der Kontinuität und Beständigkeit seiner (Förder-)Politik gemessen wissen. Tugenden, die ihm bei manch hochtönend agierenden Amtskollegen (»feurige Glanzlichter, die nichts umsetzen«) oft fehlen.

Die Beständigkeit seiner Kulturpolitik ist anzuerkennen. Aber sie lenkt auch ab.

Viel Verwaltung, wenig Innovation

Im Entwurf ‘Kulturpolitik für die 90er Jahre’ des ehemaligen Wiener Instituts für Kulturstudien wurden ergänzend zur Kulturförderung eine ‘strukturorientierte Politik’ (von Rahmenbedingungen für neue kulturelle Felder/Bedarfslagen bis zu Marktkorrekturen wie z. B. im Literaturbereich) und eine ‘prozeß- und beteiligungsorientierte Politik’ - sprich: breite Diskussion, Vernetzung, Planung, Grundlagen- und Entwicklungsarbeit - als kulturpolitische Aufgabenfelder genannt. Vor diesem Hintergrund wird der eingeschränkte Charakter der Salzburger Landeskulturpolitik sichtbar. Denn sie geht über eine Förderung des Erreichten, eine Infrastrukturpolitik der mittleren Häuser und eine Politik der herzeigbaren Events nicht hinaus.

Es gibt viel Verwaltung, aber wenig Impulsgebung. Und dafür gibt es Anhaltspunkte.

Eine Kulturpolitik die fördert, aber nicht fordert: Neuerungs- und Entwicklungsfähigkeit müssen zu konstitutiven Kriterien (nicht nur) der freien Kultur gezählt werden. Der derzeitige Finanzierungspragmatismus des Landes ist verläßlich, aber er ist nicht innovations- und entwicklungsorientiert. Es fehlen sowohl Impulse für den Umgang mit Qualität und die Sicherung von Offenheit, Flexibilität und Kooperationsfähigkeit von Kulturstätten und Kulturvereinen als auch (budgetäre) Freiräume und Anreize für neue Initiativen.

Kein Bohren dicker Bretter: Landesrat Raus vergleicht seine Politik mit der klassischen Metapher des ’Bohrens dicker Bretter’. Kultur in Gemeinden ist, von Ausnahmen abgesehen, ein besonders dickes Brett. Die Landeskulturpolitik unterstützt zwar punktuell lokale Initiativen, aber sie ‘bohrt’ nicht. Regelmäßig wird die geringe Akzeptanz gegenüber Neuem und Unbequemen in Gemeinden (von zeitgenössischer Kunst bis hin zu Jugendinitiativen) beklagt. Aber gerade hier fehlt eine unterstützende Struktur- und Entwicklungspolitik des Landes (Konzepte, Strategien, Kommunikationsmodelle) für mehr Offenheit und Kooperationsbereitschaft in Gemeinden wie z. B. für überörtliche Finanzierungsformen für Kulturarbeit.

Keine Impulse für die Wahrnehmung neuer Themen und Aufgaben im Kulturraum Salzburg: In den 90er Jahren wird zwar gefördert und verwaltet, aber es fehlen sowohl Diskussion als auch Grundlagen- und Entwicklungsarbeit, wie sie die kulturelle Aufbruchsphase der 80er Jahre begleitet haben. Die Wahrnehmungsfähigkeit für neue Themen und Aufgaben im Kulturraum Salzburg hängt aber gerade von derartigen (offenen, partizipativen) Prozessen ab. Gerade dafür fehlen erkennbare kulturpolitische Impulse.

Verteidigung des Erreichten statt adäquate Kulturfinanzierung: Das Beispiel der Stadt Salzburg zeigt, daß die kulturelle Attraktivität einer Stadt bzw. Region eben nicht allein mit großen Events, sondern mindestens ebenso mit einem vielfältigen und dezentralen Netz und Angebot zeitgenössischer Kultur verbunden ist. Es ist nicht nachvolllziehbar, daß eine adäquate Finanzierung der freien Kultur, die als Investition mit hoher Umwegrentabilität verstanden werden kann, bisher nicht durchsetzbar ist. Die Verläßlichkeit der Förderungspolitik des Landes beschränkt sich bisher eher auf die ‘Verteidigung der Erreichten’ anstatt offensiv auf eine adäquate Finanzierung hinzuarbeiten. Der budgetäre Schritt dazu wäre vergleichsweise klein.

Eine pragmatische Kulturpolitik, wie jene des Landes Salzburg, begründet ihre Haltung sehr gerne mit der Ablehnung von ‘zwangsbeglückenden’ Top Down-Initiativen. Da man aber davon ausgehen muß, daß - nicht nur - Kulturentwicklung immer ein Zusammenspiel von Top Down- und Bottom Up-Prozessen ist, riecht eine derartige Haltung eher nach bequemer Zurückhaltung. Denn Impulse kommen nicht (immer) nur ‘von unten’.

Landesrat Othmar Raus ist derzeit konkurrenzlos. Denn kulturpolitisch stellen die anderen Parteien, die Stadt Salzburg und auch die - teilweise sehr zufriedene - Kulturszene derzeit keine inhaltliche Herausforderung dar. Man macht es Raus leicht. Dabei könnten seine »Beständigkeit« und »Korrektheit« einen Boden für neue kulturpolitische Impulse bilden. Raus verdient geradezu eine inhaltlich-konzeptive Herausforderung.