dezember 1998

Gudrun Seidenauer
gelesen

Karl-Markus Gauß: Ins unentdeckte Österreich

Zsolnay Verlag. Wien 1998. 179S.

Wer meint, über Österreich nun wirklich alles Wesentliche zwischen Franz Joseph und Jörg Haider zu wissen, wer Qualtinger, Ringel und die gesamte sogenannte Anti-Heimatliteratur kennt, sollte dennoch an Karl-Markus Gauß' neuem Essayband »Ins unentdeckte Österreich.« nicht vorbeigehen. Der Titel verspricht auch dem Kundigen nicht zuviel: Der 1954 in Salzburg geborene, erfreulich eigenwillige Kritiker und Herausgeber, jüngst auch mit dem Preis der Salzburger Wirtschaft ausgezeichnet, nimmt die Leser auf eine spannende Bildungsreise in Sachen österreichischer (Mentalitäts-) Geschichte mit. Der brillanten Formulierungskunst des Autors ist es zu danken, daß man sozusagen en passant und frei von langweiliger Penetranz im besten, nämlich vergnüglichen und nicht besserwisserischen Sinne belehrt wird. Zu bissig erhellenden Ausführungen Anlaß bieten unter anderem das Wiener Telefonbuch, die sexuellen Eigenarten des Paradeösterreichers Heimito von Doderer oder das Phänomen Hermes Phettberg. Doch geht es Gauß nicht nur um die »Attacken«, die der Untertitel des Bandes in Aussicht stellt - die übrigens von großer Differenziertheit sind und sich von jeder »San eh olles Faschisten«-These linker Stammtischmanier abgrenzen. Einen wesentlichen Teil bilden die »Nachrufe«, für die von Gauß geliebten Querköpfe und Aufrührer, deren zumeist schwierige und bittere Lebensläufe in Vergangenheit und Gegenwart aus dem öffentlichen Bewußtsein auch der Gebildeten nahezu völlig verschwunden sind. Als Beispiel sei hier der Kärntner Dichter Michael Guttenbrunner erwähnt, der im Jahr 1944 wegen »tätlichen Angriffs auf einen Vorgesetzten und Aufwiegelung« zum Tod verurteilt und schließlich in eine Strafkompanie abkommandiert wird. Gauß bricht in seinem Beitrag eine Lanze für Guttenbrunners desillusionierende Literatur und Publizistik und berichtet - nicht frei von Sympathie - von dessen, mitunter Brachiales nicht scheuende Empörung gegen diverse (Klagenfurter) Alt- und Schonwiedernazis.

Ich denke, wer Gauß Bücher (u.a. auch »Das europäische Alphabet« und »Tinte ist bitter«)

liest, wird nicht nur daran erinnert, daß Denken mit allem darin freigesetzten Bitterstoff auch vergnüglich sein kann (und daß Vergnügen nicht immer so hirnlos sein muß, wie es einen so mancher Dummheitsgewinnler weismachen will).