april 1999

Gerald Gröchenig

Kulturgasthaus Bierstindl

Der Innsbrucker »Dechant«, Herwig van Staa war eifrig bemüht, ein einzigartiges Projekt wegen fehlender 300.000 Schilling zugrunde zu richten

Mein Gott, was hat Österreichs Kulturszene gelacht, als Innsbrucks Bürgermeister van Staa nach dem Scheitern der letzten Olympiabewerbung die Stadt von der Sport- zur Kulturstadt umbenannte, ungefähr so, wie wenn man ein paar Socken wechselt. Die Betreiber des Bierstindl hatten allerdings im letzter Zeit wenig zu lachen: Für eines der größten Kulturzentren Westösterreichs kann die Stadt die Fördersumme von einer Million im Jahr nicht mehr aufbringen. Was 1997 noch möglich war, reduzierte sich 1998 um 300.000. Da der Vorstand für diese Schulden nicht geradestehen wollte, hätte man das Zentrum beinahe geschlossen. Neun Millionen Schilling, die bis dahin in Ankauf und Adaption von der öffentlichen Hand investiert wurden, wären dann für Innsbrucks Kultur verloren gewesen. Kulturstadt eben. Letztendlich ist dann das Land eingesprungen und läßt sich jetzt entsprechend feiern.

Vor einigen Jahren hat manch einer ob des Projekts Bierstindl die Stirne gerunzelt: Wie das wohl funktionieren kann, wenn Trachtenverband, Schützen, Kulturinitiativen, AutorInnen und andere gemeinsam ein Haus betreiben. Die Idee war nicht schlecht: Der Verein kaufte das Haus, bis zum Jahr 2007 sind die Kredite abgezahlt. Danach fallen für Büro und Betrieb keine Mieten mehr an, was wieder mehr Geld für Kulturarbeit freiwerden läßt. Im September 1993 erfolgte schließlich die offizielle Eröffnung des Kulturgasthauses.

In der Zwischenzeit besuchen im Jahr ca. 25.000 Personen die Veranstaltungen. An die 300 Schriftsteller konnte man hier in den letzten Jahren präsentieren, man produziert als einziges Kulturzentrum Theaterstücke junger heimischer AutorInnen. 18 Vereine sind nach wie vor im Bierstindl untergebracht, und nach wie vor treffen sich alle einmal im Monat zu den Kulturbeiratssitzungen. Für Konfliktstoff ist bei einem Programm zwischen Schützenbund und Lesbendisco hin und wieder gesorgt, doch es zeugt von der Kultur des Hauses, wie man mit diesen Spannungen umzugehen gelernt hat.

Haus und Lage sind einzigartig. Man sagt, daß die Schispringer am Berg Isel bei Seitenwind durchaus im Gastgarten des Bierstindls landen könnten. Für die in den Berg getriebenen Stollen gibt es bereits Ausbauwünsche - so könnte hier ein dringend notwendiger Veranstaltungssaal für ca. 400 Leute realisiert werden. Momentan endet der Stollen hinter der Küche des Wirtshauses an der Brenner-Autobahn: nur eine Mauer trennen Kulturhaus und Berg-Isel-Tunnel. Daß die Küche des Gasthauses der Qualität des Kulturlebens entspricht, ist bei der fast 300-jährigen Geschichte als Wirtsbetrieb nicht verwunderlich.

Alles in allem wäre das Kulturgasthaus ein durchaus wegweisendes Projekt, wäre da nicht die einer Kulturstadt entsprechende Politikerkaste: In der Zwischenzeit rechnete van Staa Förderungen für die Kultur mit Förderungen für ein Projekt »Sterbehilfe« der Barmherzigen Schwestern auf. Beim Begräbnis des Tiroler Schauspielers Hans Brenner bekennt er sich zur Kultur. Für die lebenden Kulturschaffenden aus dem Bierstindl hatte er allerdings keinen Termin frei. Nach Sportstadt und Kulturstadt steht Innsbruck wohl bald ein neues Leitbild bevor.