april 1999

Doc Holliday

»Ich wollte nie zum Spiegel«

Ein Gespräch mit Robert Gernhardt über komische Zeitschriften in der BRD, kostümierte Esel und sonderbare Verleger

Robert Gernhardt wurde am 13.12. 1937 im estnischen Reval geboren. Er studierte an der Akademie für Bildende Künste in Berlin und ist seit 1965 als Lyriker, Essayist, Prosa-Schriftsteller, Humorist, Zeichner und Maler in Erscheinung getreten. Er schrieb für Rundfunk und Fernsehen und war (Co-)Autor der Drehbücher zu den Otto-Filmen. Als Redakteur arbeitete Gernhardt ab den 60er Jahren für die besten Satire-Zeitschriften der westlichen Hemisphäre: PARDON und TITANIC. Als Sammelbegriff für die Autorengruppe aus dem Umfeld dieser Periodika hat sich die Bezeichnung »Neue Frankfurter Schule« (NFS) eingebürgert. In ihren Werken mischen sich Satire, Parodie, Polemik und Nonsens mit einer fundamentalen Kulturkritik. Im ästhetischen »Programm« der NFS steckt(e) viel politische Sprengkraft. Die Frage, ob »die Umarmung durchs bürgerliche Feuilleton ihr (der NFS, D.H.) den anarchistischen Impuls ausgetrieben hat« (Jürgen Roth und Kay Sokolowsky in: »Literatur-Konkret« 22/1997/98), wollen wir hier (einstweilen) offen lassen. Oder höchstens mit zwei »Schulweisheiten« kommentieren: »Mein Gott ist das beziehungsreich, / ich glaub, ich übergeb` mich gleich.« (Robert Gernhardt) oder in den unsterblichen Worten des Gernhardt-Spezls F.W. Bernstein: »Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche.«

Herr Gernhardt, Sie haben in den 50er Jahren mit dem Studium begonnen. Wann haben Sie Ihre ersten künstlerischen Gehversuche unternommen? Wann haben Sie Ihre Talente entdeckt?

• Ich habe in Berlin Bildende Kunst und Germanistik studiert, insgesamt acht Jahre lang. In der Kunstakademie habe ich dann F.W. Bernstein kennengelernt. Wir haben uns zwanglos gefunden, das war eine sehr wichtige Weichenstellung. Wenn wir etwa bestimmte literarische Genres kennengelernt haben, dann wurden die auch sofort von uns erprobt. So erinnere ich mich an eine U-Bahnfahrt, so eine halbe Stunde lang, da haben wir uns nur in Blankversen unterhalten. Oder wir haben Karikaturen gezeichnet. Aber alles ohne Verwertungsabsicht, nur für den Lustgewinn. Wir waren jedenfalls beide auf das Komische aus.

Wo lagen Ihre Präferenzen, in der Literatur oder der Malerei?

• Ich wollte ursprünglich Bildender Künstler werden, habe aber bald zähneknirschend eingesehen, daß ich mich auf das Schreiben konzentrieren muß.

Die 50er Jahre waren aus heutiger Sicht eine recht muffige Zeit. Wie war das kulturelle Klima dieser Zeit?

• Allgemein gab es in dieser Dekade das Gefühl eines enormen Nachholbedarfs. Es war relativ einfach, den Überblick zu behalten, es gab ja wenig. Ich bin sehr früh auf Arno Schmidt gestoßen. Von Böll und Hesse hielten wir nichts, vor Thomas Mann und Gottfried Benn hatten wir Respekt, die waren schon eine Nummer größer. Brecht haben wir natürlich gelesen. Der war damals noch kein Schulbuchautor, der jedem zum Hals heraushing. In Göttingen, wo ich zur Schule ging, gab es das British Center: dort habe ich englische Karikaturisten und Autore, wie Evelyn Waugh und Graham Greene kennengelernt. Das war immens wichtig. Die 50er waren eine sehr abstrakte Zeit. Dichtung, Denken und auch diese Witze ohne Worte, alles war abstrakt. Je abgehobener, desto mehr Lob heimsten diese Zeichner ein. Das wollten wir später ändern.

Wie war das auf der politischen Ebene? Es gab in den 50ern ja eine starke Protestbewegung gegen die Wiederbewaffnung oder etwa die Gründung der Zeitschrift »Konkret«

• Göttingen war auch in dieser Hinsicht ein interessantes Pflaster. Ich erinnere mich an eine Demonstration gegen die Wiederzulassung der schlagenden Verbindungen, bei der ein Esel im Mummenschanz, also mit Mütze und Schärpe durch die Stadt getrieben wurde.

Hatte er auch einen Schmiß?

• Das wohl nicht.

Wie stießen Sie in den 60er Jahren dann auf die legendäre Satirezeitschrift Pardon?

• Bereits während des Studiums hatte ich von Berlin aus für Pardon gearbeitet. So war ich in der Nummer 2 im Jahr 1962 vertreten. 1964 hatten Bernstein und ich ein Angebot von Pardon, und nach dem bestandenen Germanistik-Staatsexamen gingen wir nach Frankfurt und traten in die Redaktion ein. Es war eine gute Gelegenheit, etwas zu erproben. Wir waren natürlich blanke Laien, was das komische Zeichnen betraf. Im Schreiben hatten wir schon einen höheren »Bewußtseinsstand«, Wirkung und Formung betreffend. Ein Teil dessen, was wir während der Studienzeit nur für uns selbst produziert hatten, war auch für Pardon zu abseitig und ging dann in mein erstes Buch »Die Wahrheit über Arnold Hau« (1966) ein. Das war eine Gemeinschaftsarbeit mit Bernstein und F.K. Waechter, auf den wir in Frankfurt gestoßen waren.

Ihr Werk besteht aus vielen Gemeinschaftsarbeiten. Dichten und zeichnen Sie lieber in einer Gruppe?

• Wir haben 11 Jahre lang in Pardon den Mittelteil, also eine Doppelseite, die »Welt im Spiegel« (WimS) gemacht, immer zu dritt. Von einem einzelnen wäre das gar nicht zu leisten gewesen. Es braucht eine Gruppe, die sich gegenseitig stützt. Man hat beispielsweise eine Idee, fängt etwas an und gibt das Blatt Papier dann weiter...«schreib du das mal zu Ende«. Wir sind aber erst dreimal zusammen auf einer Bühne aufgetreten - übrigens erstmals 1995 hier in Salzburg in der ARGE Nonntal. Den dritten gemeinsamen Auftritt hatten wir jetzt in Göttingen. Davon wird unter dem Titel »Die drei Frisöre. Eine haarige Lesung« auch bei Haffmans eine CD erscheinen.

Hatte Pardon Vorbilder?

• In der BRD gab es keine. Aber in den USA mit MAD, sowie in Paris mit Harakiri.

Nennen Sie uns einige Namen von Autoren und Zeichnern, die bei Pardon ihre Karriere starteten

• Pardon erschien im Bärmeier & Nikel-Verlag. Der Nikel hatte ein gutes Händchen für Mitarbeiter, und es gab eine ganze Reihe von interessanten Leuten. Von Beginn an dabei waren etwa Chlodwig Poth und Hans Traxler. Eckhard Henscheid und Gerhard Seyfried kamen dann dazu. Herbert Feuerstein war Lektor, der machte dann das deutsche MAD...

...und ist heute einer der Comedy-Stars im deutschen Fernsehen.

• Es gab dann noch einige »untypische« Leute: Alice Schwarzer, Otto Köhler, Günter Wallraff und Gerhard Kromschröder, der dann zum Stern ging...

...und dort einen Undercover-Journalismus im Wallraff-Stil betrieb. Was passierte dann mit Pardon? Warum wurde die Zeitschrift eingestellt?

• Das ist alles sehr ungerecht gelaufen. Die Verleger verdienten sich eine goldene Nase und für die Zeichner und Schreiber ist kaum etwas abgefallen. Irgendwann wollte der Verleger dann den Teufel nicht mehr auf dem Titel haben, das war ihm zu negativ. Außerdem verfiel er der transzendentalen Meditation. 1973 hörte ich dann bei Pardon auf, die »WimS« durften wir in eigener Regie noch bis 1976 machen. Pardon gab es noch bis 1982. Aber alle guten Leute waren rausgeschmissen worden und hatten 1979 Titanic gegründet. Die Gründerväter, die auch Eigenkapital zugeschossen hatten, waren Peter Knorr, Poth, Waechter, Traxler und ich. Der Verleger hieß übrigens Sondermann und war auch reichlich sonderbar. Im nachhinein glaube ich, daß es die etwas Wahnsinnigen braucht, die allen Warnungen zum Trotz solche Ideen in die Tat umsetzen. Ich selbst bin außer bei Pardon und Titanic noch bei einigen anderen Projekten Geburtshelfer gewesen. 1972 war ich einer der ersten Autoren beim 2001-Versand. 1973 begann die Zusammenarbeit mit Otto Waalkes und 1982 sollte die erste Veröffentlichung des neugegründeten Haffmans Verlags aus meiner Feder stammen.

Der Zürcher Haffmans Verlag ist ein eher kleines Unternehmen. Wie unterscheidet sich dieser von den Branchenriesen?

• In einem kleinen Verlag wird man einfach besser betreut, die müssen ja mehr für dich tun. Außerdem bin ich immer in die »kleinen Zusammenhänge« gegangen. Ich wollte nie Journalist werden und zum Spiegel gehen.

Arbeit sollte eben auch Spaß machen.

• In den 70ern war ich ich ziemlich durchgehend Maler und ich schrieb, um mich zu unterhalten - im doppelten Sinne: um Geld zu verdienen und Spaß zu haben, natürlich auch um andere zu unterhalten.

Herr Gernhardt, danke für dieses Gespräch!

Das Gespräch mit Robert Gernhardt führte Doc Holliday.

P.S.: Gernhardt-Bücher sind bei Haffmans (35 in 17 Jahren), bei 2001 (u.a. ein WimS-Reprint) und im Fischer Taschenbuchverlag erschienen.