april 1999

Ulrike Ramsauer

Chronik des beschwerlichen Erinnerns

Dokumentation der Kontroverse um die »Salzburger Wehrmachtsausstellung« im Residenz Verlag

Vor genau einem Jahr wurde die vom renommierten Hamburger Institut für Sozialforschung konzipierte Ausstellung «Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 – 1944« in den Räumen des Stadtkinos gezeigt. Bereits im Vorfeld hatte das Projekt, die Dokumentation über die Beteiligung der Deutschen Wehrmacht an Kriegsverbrechen am Balkan und in der Sowjetunion, nach Salzburg zu holen, im Landtag heftige Attacken von Seiten der ÖVP und FPÖ ausgelöst. In weiterer Folge sollte der Impuls, auf Grundlage einer wissenschaftlich unumstrittenen Schau der Legende von der »sauberen Wehrmacht« entgegenzuwirken, in Salzburg eine seit Kriegsende einzigartige Auseinandersetzung um Erinnern und Vergessen provozieren. In dem nun bei Residenz erschienenen Buch »Umkämpfte Erinnerung« – herausgegeben von dem Politologen Günther Sandnder und von den HistorikerInnen Helga Embacher und Albert Lichtblau, die als Vorsitzende des Vereins »Erinnern!« letztlich für die Organisation der Ausstellung hier in der Stadt verantwortlich zeichneten – werden Skandalchronik und politische Konfliktlinien der Salzburger Kontroverse nachgezeichnet.

Die bereits in der Vorbereitungsphase losgetretene Debatte um NS-Verbrechen und die Rezeption der – salopp umgedeuteten – »Wehrmachtsausstellung« durch VertreterInnen der Kriegsgeneration, deren Kinder und Enkelkinder waren in der Folge bestimmt von einer Vermischung verschiedener Ebenen, von Schuldgefühlen, Ängsten und Verunsicherungen. Stark mobilisierende Funktion hatte bereits vor Ausstellungseröffnung das Auftreten des Salzburger Landeshauptmannes Schausberger, mit dessen Positionierung sich Manfred Messerschmidt und Albert Lichtblau ausführlich befassen. Der habilitierte Historiker (!) Schausberger polemisierte in der »Krone« unter Berufung auf seinen »93-jährigen Vater, aus katholisch-bäuerlichem Milieu kommend und nie mit der NS-Ideologie sympathisierend« gegen eine »Wehrmachtsverurteilungsausstellung«, die diese Vätergeneration als »Verbrecher und Stütze des NS-Regimes« hinstelle. Im Diskurs über das Ausstellungsgeschehen wurde diese Argumentation immer wieder von der Gegenseite bemüht, die sich in keinster Weise mit der eigentlichen Thematik des Gezeigten auseinandersetzte, den Materialien über verbrecherische Handlungen der Wehrmacht im Rahmen des Partisanenkrieges in Serbien und der Besatzung Weißrußlands.

Die Kontroverse ließ mächtige Allianzen augenfällig werden, etwa jene zwischen »Krone« und Kameradschaftsbund, mit dem konservative Salzburger Politiker auch in der Öffentlichkeit keine Berührungsängste zeigten. Keine Steuergelder für die »!Schandausstellung« auszugeben, hatte der Präsident des Kameradschaftsbundes bei der »Friedenswallfahrt« nach Maria Plain 1997 in Anwesenheit von Landeshauptmann Schausberger und des damaligen Bürgermeisters Dechant verlangt. Helga Embacher analysiert in ihrem Beitrag das Geschichtsbild des Kameradschaftsbundes, dessen Vertreter – Kriegsteilnehmer und Mitglieder aus der Nachfolgegeneration – in der Debatte um die Ausstellungsinhalte vorzugsweise die »Ehre des Wehrmachtssoldaten« wiederherzustellen versuchten, indem sie Täter- und Opferseite umkehrten: In der Öffentlichtkeit wurde immer wieder betont, daß man sich an keine Verbrechen der Wehrmacht, jedoch an Greueltaten der Gegnerseite erinnern könne. Was das Stadtbild betrifft, habe der Kameradschaftsbund den »Kampf um die Erinnerung gewonnen«, so Embacher: Während bereits in den fünfziger Jahren errichtete Kriegerdenkmäler die »Denkmallandschaft« bestimmen, hat man vor wenigen Jahren erste Mahnmäler zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus aufgestellt – an der Peripherie und an schwer einsehbaren Orten in der Stadt.

Die Nachlese zu der äußerst emotional geführten Salzburger Kontroverse fokussiert abschließend die Frage, wie die aktive oder auch passive Haltung der Kriegsgeneration gegenüber der NS-Ideologie, das Schweigen, Zuschauen und Akzeptieren innerhalb der Familien weiter wirksam ist. Wie Ruth Beckermann in ihrem Film »Jenseits des Krieges« befaßt sich die Psychoanalytikerin Doris Gödl mit den unmittelbaren Reaktionen der AusstellungsbesucherInnen und geht den Brüchen in der Erinnerung nach. In der Analyse mehrerer im Stadtkino geführter Interviews macht sie die psychischen Mechanismen der unbewußten Weitergabe des Erlebten an die nachfolgenden Generationen sichtbar. In den Familien wirke das Nicht-Erzählte am stärksten, und dadurch, daß Kinder und Enkelkinder nichts wissen wollten, machten sie sich zu Komplizen. Gerade die psychologische Ebene bei der Konzeption des Buches einzubringen war den HerausgeberInnen sehr wichtig, wie Helga Embacher dem kunstfehler gegenüber betont. Ihrer Ansicht nach haben die Konflikte um die »Wehrmachtsausstellung« gezeigt, daß sich in weiten Teilen der Bevölkerung die »Opfer-These« verfestigt habe, die ÖsterreicherInnen wären nicht nur – historisch gesehen – Opfer des Faschismus, sondern nunmehr auch Opfer der HistorikerInnen. Es sei aber auch manifest geworden, daß eine starke Gegenöffentlichkeit existiert.

Die sorgfältig zusammengestellte Chronik des Erinnerns – mit einer vollständigen Dokumentation der Debatte zwischen dem Zeitgeschichtler Gerhard Botz und Landeshauptmann Franz Schausberger sowie aller themenbezogenen Leserbriefe – bildet einen wesentlicher Impuls zur Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit in Salzburg. Absolut empfehlenswert!

»Umkämpfte Erinnerung. Die Wehrmachtsausstellung in Salzburg.«, hg. von Helga Embacher, Albert Lichtblau und Günther Sandner, Residenz Verlag. (Mit Beiträgen von Helga Embacher, Doris Gödl, Albert Lichtblau, Günther Marchner, Manfred Messerschmidt und Susanne Rolinek)