mai 1999

Ulrike Ramsauer
gelesen

Toni Elisabeth Altenberg, Mein Leben in der Mühlkommune. Freie Sexualität und kollektiver Gehorsam

Böhlau Verlag, Wien 1998

Der Prozeß wegen Verführung Minderjähriger gegen einen Exponenten des Wiener Aktionismus, Otto Mühl, den ehemalige Mitglieder seiner Kommune angestrengt hatten, holte Ende der achtziger Jahre ein gesellschaftliches Experiment ins öffentliche Bewußtsein zurück, das zu diesem Zeitpunkt bereits zum Scheitern verurteilt war: Die als bewußte Alternative zu bürgerlichen Lebensformen angelegten Versuche kollektiven Lebens, wie sie am Friedrichshof im Burgenland und in Wohngemeinschaften in Deutschland und der Schweiz durchgeführt wurden, waren nicht zuletzt aufgrund der undemokratischen Strukturen und des autoritären Gebarens ihres Leiters Otto Mühl für ihre BewohnerInnen zur negativen Utopie geworden. In ihrem jüngst im Wiener Böhlau Verlag erschienenen Buch zeichnet die Ex-Kommunardin Toni Elisabeth Altenberg, die über 18 Jahre hinweg die innere Entwicklung miterlebte – basierend auf ihren persönlichen Erfahrungen und auf Gesprächen mit anderen ehemaligen, anonym gehaltenen Kommune-Mitgliedern – die langsame Distanzierung dieses gesellschaftlichen Gegenmodells von seinen ursprünglichen Idealen nach.

1970 war die erste Kommune in Wien eingerichtet worden, nach Ankauf des Friedrichshofes in der Nähe des Neusiedler Sees, der bis zur Auflösung eigentliches Zentrum blieb, und nach der Gründung weiterer Wohngemeinschaften in München, Berlin, Genf und Zürich zählte die »Gruppe« etwa 300 bis 500 Mitglieder. War das Zusammenleben in den ersten Jahren informell regelbar, so etablierte sich mit der zunehmenden Anzahl der Kommunarden eine Führungsclique und die Einrichtung einer Hierarchie, in der sozialer Auf- oder Abstieg nach strikten Kriterien bestimmt wurde: Beliebtheit und sexuelle Attraktivität, die Fähigkeit, sich in den allabendlich stattfindenden Ritualen der »Selbstdarstellung« – die von Otto Mühl aus Therapie-Versatzstücken entwickelt worden war – gut zu inszenieren, sowie später auch geschäftlicher Erfolg. Trotz der immer repressiveren Organisation des Kommune-Alltags und der offensichtlichen Pervertierung der usrprünglichen Ideale eines freieren Zusammenlebens wurde das Experiment in seiner Spätphase von Mitgliedern aufrechterhalten, die von seinem Gelingen ökonomisch und emotional abhängig waren. In ihrem äußerst lesenswerten Buch führt Toni Elisabeth Altenberg am Beispiel der Mühlkommune die Grenzen der Selbstorganisierbarkeit vor, an die alternative Kultur- und Sozialprojekte der siebziger Jahre vielfach geraten sind.