mai 1999

Christoph Lindenbauer
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Der eisige Frieden

Serben, Albaner und Bosnier arbeiten in Salzburgs Betrieben zusammen und wahren notdürftig die Kollegialität

Behim ist 23 Jahre alt, Albaner aus dem Kosovo und arbeitet als Lastwagen- und Staplerfahrer in einer Salzburger Fabrik. Wenn er um sieben Uhr morgens an den Arbeitsplatz kommt, murmelt er auf serbokroatisch »Guten Morgen« zu seinen serbischen Kollegen, ein kurzer Augenkontakt läßt durchblicken: Es gibt dich, du bist zwar kein Freund, aber ich respektiere dich als Kollegen. Manchmal wird am Mittagstisch auch über Politik geredet, schließlich ist der Konflikt seit der Aberkennung der Autonomierechte 1988 aktut. Doch damit ist jetzt Schluß.

Ende März beginnt die Nato mit ihren Bombardements. Und die Bomben verändern auch das Zusammenarbeiten der Volksgruppen in Salzburg nachhaltig. Von »Guten Morgen« ist jetzt keine Rede mehr, eisiges Schweigen in der Kantine, Serben und Albaner setzen sich an möglichst weit voneinander entfernte Tische. Selbst die unumgänglichen Kommandos für das gemeinsame Heben einer Last werden von beiden Seiten nur mehr zwischen den Zähnen durchgequetscht. Für Behim bestätigt sich, was sein Großvater schon zu ihm gesagt hat: »Mit einem Serben kannst du reden, aber vertrauen kannst du ihm nicht«. Hassen, so sagt Behim, tut er nicht, aber begreifen kann er die Serben auch nicht mehr. Zwar hat er die Schulbank zusammen mit serbischen Kindern gedrückt, auch seine Nachbarn im Kosovo sind Serben, aber die Kluft zwischen den Volksgruppen war für Behim immer schon groß und scheint ihm jetzt unüberbrückbar.

»Was soll ich mit meinem Nachbarn tun, von dem ich weiß, daß er mein Haus im Kosovo angezündet hat?«

Für Rachman ist der Haß so groß, daß er sich ein friedliches Zusammenleben mit den Serben nicht mehr vorstellen kann. Er schläft nicht mehr und kann auch während der Arbeit seinen 22-jährigen Sohn und seine 70-jährigen Eltern nicht vergessen, die irgendwo im Kosovo umherirren und nicht zu finden sind.

Stjepan ist Serbe und seit vielen Jahren in Salzburg. Er bereitet die Paletten vor, die Behim auf Lastwägen oder ins Lager stapelt. Von Problemen mit Behim will er nichts wissen. Die Zusammenarbeit sei gut, er verstehe gar nicht, warum Behim jetzt nicht mehr mit ihm sprechen will. Schließlich sei die Nato an allem schuld, den Konflikt im Kosovo könnten die Serben und die Kosovo-Albaner - allesamt Jugoslawen, wie er betont - selbst lösen. Auf die Frage, ob auch Slobodan Milosevic Schuld träfe, denkt er lange nach und ringt sich schließlich die Worte ab: »Ein bißchen vielleicht«. Aber nicht ohne ausführlich hinzuzufügen, daß sich die Albaner ihre Schwierigkeiten »selbst eingebrockt« hätten.

Emin, der Bosnier, hält das von Stjepan Gesagte für Blödsinn. Die Stimmung sei feindlich, von Kollegialität könne keine Rede sein, der Krieg liege auch hier schneidend in der Luft. Für Emin gibt es nur einen Grund, warum die Serben und Albaner nicht offen aufeinander losgehen. Es ist der Druck, den Betriebsrat und Firmenleitung auf die Arbeiter ausüben. Wer Aggression in die Firma trägt und so den Arbeitsablauf gefährdet, der wird auf der Stelle gefeuert, so die rigorosen Firmenbosse. »Der Krieg sollte wenigstens im Kosovo bleiben, dort, wo er hingehört«, sagt der Betriebsratsvorsitzende. Und das meint er sicher nicht zynisch, sondern resig-niert.

Zurück zu Behim: Auch er hat noch Familienmitglieder im Kosovo. Sein Vater ist Mitte April von Salzburg in sein Heimatdorf gefahren, um die Familie zu suchen und nach Salzburg zu holen. Zurückgelassen hat er seinen Sohn mit der zermürbenden Gewissensfrage: Soll er sich der UCK an-schließen und gegen die Serben in den Krieg ziehen, oder soll er bei seinem Hubstapler bleiben. Kann er bei den eigenen Leuten nach dem Krieg jemals anerkannt werden, wenn er jetzt nicht, wie er sagt: »für die Heimat kämpft?«