mai 1999

Christoph Lindenbauer
titel

Der Frieden und sein Dilemma

Die europäischen Grünen und die Friedensbewegungen stecken mitten in ihrer bisher größten Zerreißprobe

Anfang der 80er Jahre Pazifist zu sein und gegen die Cruise Missiles der Nato zu demonstrieren, war eine Sache. Aber jetzt, wo dieselben, oder ähnliche Vernichtungswerkzeuge auf Häuser und Menschen geworfen werden, erscheint dasselbe wesentlich schwieriger. Derart schwierig, daß es Friedensbewegungen und auch viele Grünparteien Europas, von denen die meisten ja die Gewaltlosigkeit in den Gründungsstatuten verankert haben, zu zerreißen droht. Haben sich die Friedensbüros und Organisationen für Gewaltlosigkeit in den vergangenen Wochen eher dünn gemacht, so blieb den parlamentarischen Grün-Parteien im tagespolitischen Geschehen nichts anderes übrig, als sich zu deklarieren. Doch damit gerieten die Grünen auf einen ideologischen Schleuderkurs, der sich wochenlang nicht begradigen ließ. Nicht nur für die Grünen in Deutschland, die den Nato-Einsatz in der Regierung mitbeschlossen hatten, entstand moralisch und politisch akuter Erklärungsbedarf, um den sich Spitzenpolitiker und Friedensaktivisten wochenlang zu drücken versucht hatten. Aber keine europäische Grünpartei geriet übler zwischen die Stühle als die deutsche. Dort sind die Positionen einzelner Parteimitglieder derart weit auseinandergedriftet, wie bei keinem anderen Thema in der jungen Geschichte der Natur- und Friedensschützer.

DIE NATO-GRÜNEN

Der grüne Außenminister Joschka Fischer hat anfangs die Kritik aus den eigenen Reihen gegen den Bombenhagel regierungstreu abgeschmettert. Damit geriet er aber innerparteilich immer mehr unter Beschuß und mußte sich nicht nur von Biertischrunden »Verräter an der grünen Sache« schimpfen lassen. Fischer kontert mit schwerem moralischen Geschütz:

»Natürlich habe ich immer gesagt: Nie wieder Krieg, aber ich habe auch immer gesagt: Nie wieder Auschwitz« .

Zwar setzt sich Fischer seit Mitte April für Verhandlungen mit Rußland ein, um den traditionellen Verbündeten der Serben zu Druck auf Milosevic zu bewegen. Auch ist Fischer von der ursprünglichen Nato-Forderung, wonach Milosevic den in Rambouillet ausgehandelten Vertrag bedingungslos zu akzeptieren habe, deutlich abgerückt. Doch der grünen Basis in Deutschland genügt das nicht. Radikale Grüne haben in Deutschland bereits Büros der eigenen Partei besetzt. Christian Ströbele, genau wie Fischer Gründungsmitglied der Grün- und Friedensbewegung in Deutschland, macht offen Front gegen den Kriegskurs der Rot-Grün-Regierung und zieht, wie in alten Tagen, mit »Stoppt die Bomben«-Transparenten durch die Diskussionsveranstaltungen. Rezzo Schlauch, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag in Bonn gesteht offen: »Es zerreißt jeden von uns, aber hoffentlich nicht die Partei.« Fischer, dessen Fraktion erst kürzlich in Sachen Ausstieg aus der Kernenergie eine arge Schlappe einstecken mußte, entgegnet in gar nicht staatstragendem Ton: »Ich folge doch bloß meinem Gewissen«.

Auch die Wehrsprecherin der Grünen, Angelika Beer, gibt ihr Dilemma offen zu. Aber sie bleibt auf Linie. »Milosevic ist auch als Verhandlungspartner untragbar, er gehört vor ein Kriegsverbrechertribunal. Solange sich die Serben nicht aus dem Kosovo zurückziehen, sind die Bombardements - dreifaches leider - notwendig und gerechtfertigt.«

Noch schärfer und kompromißloser gibt sich der französische Grünen-Chef Daniel Cohn-Bendit. Er plädiert sogar für sofortigen Einsatz von Bodentruppen, denn die Frage lautet für ihn: »Ist man für oder gegen die barbarischen Menschenrechtsverletzungen. Ich bin«, so sagt er »gemartert durch die Heuchelei jener, die sich über die ethnischen Säuberungen schockiert geben, aber gleichzeitig die Nato verteufeln. Die einzige Antwort auf die serbische Aggression ist radikale Solidarität mit den albanischen Opfern. Alles andere verschlimmert die humanitäte Katastrophe«. Und auch Cohn-Bendit zitiert die unrühmliche europäische Geschichte: »Ich will nicht zu jenen gehören, die sich 1936 weigerten, für den Erhalt der spanischen Republik zu kämpfen, wodurch die historische Chance verspielt wurde, die Faschisten zurückzudrängen«. Cohn-Bendits deftigster Spruch: »Auf in den Krieg gegen Milosevic, was sonst«.

Weniger kriegsbegeistert gibt sich Andre Heller, einer jener prominenten Österreicher, die seit den frühen Tagen in der Friedensbewegung engagiert sind. Aber inhaltlich schlägt er in dieselbe Kerbe: »Wer den Kosovo-Albanern die Ausrottung ersparen will, der muß in den altmodischen Bodenkampf, Haus um Haus, Ortschaft um Ortschaft, Hügel um Hügel. Milosevic mußt gestoppt werden.« Immerhin hat der sich offen zur Ratlosigkeit bekennende Heller auch Kritik am Verhalten des Westens parat: »Wer allein in den ersten Tagen des Krieges dreißig Milliarden Schilling in die Zerstörung und in die Einschüchterung eines zynischen Diktators investiert, der hätte wenigstens einen Bruchteil dieser Summe für eine funktionierende Infrastruktur zur Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge rechtzeitig bereitstellen müssen. Wir wollen diesen Krieg nicht und wissen dennoch nichts Klügeres, als dessen Ausweitung«. Für Heller ist »den Opfern helfen« der einzige Ausweg aus dem moralischen und politischen Schlamassel.

Wesentlich einfacher macht es sich da Günther Nenning. Kaum weniger prominent als Heller und ebenfalls Friedens- und Naturschutzaktivist der ersten Stunde, antwortet er auf die schriftliche Anfrage des kf: Wie können die Menschenrechte jetzt durchgesetzt werden? Lapidar: »Militärisch natür-lich«. Kaum ergiebiger ist Nenning auf die Frage nach den Alternativen zum Krieg. Nennings kurzangebundene no-na-Antwort: »Frieden«

Die standhaften Grünen

In Österreich hat der Krieg im Kosovo den Grünen erst einmal kräftig die Sprache verschlagen. Während in Deutschland längst intern und öffentlich hitzige Debatten geführt wurden, blieben Österreichs Grünpolitiker stumm. Zwar werben Johannes Voggenhuber und Peter Pilz seit Anfang April mit Inseraten für einen Anti-Kriegskurs, aber das sind persönliche Aktionen, nicht Aussagen der Partei. Die hat sich erst durch eine zufällig seit Herbst geplante Diskussion über »Das Ende der Gewaltlosigkeit« am 12. April im Wiener Künstlerhaus zu einer Parteilinie durchringen können. Die lautet: »Es lebe der Pazifismus, aber mit Einschränkungen.«

Bundessprecher Alexander van der Bellen hält seinen französischen Amtskollegen Cohn-Bendit für irregeleitet. Dessen Erschütterung sei verständlich, tauge aber nicht als Leitlinie grüner Politik. »Eine Eskalation des Krieges könnte zu einem unkontrollierbaren Flächenbrand führen«. Boris Jelzins Säbelrasseln mag der Beruhigung der Kriegshetzer im eigenen Land dienen, aber Rußlands Nationalisten haben durch die Nato-Bomben unübersehbar Auftrieb bekommen.

Doch Entschlossenheit will van der Bellen trotzdem nicht vermissen lassen: »Kein Zweifel, Milosevic ist ein Verbrecher, der verurteilt werden muß. Aber zwischen Bombenhagel auf Belgrad und einer Kollaboration mit Milosevic, wie sie Cohn-Bendit den Kriegsgegnern vorwirft, gibt es genug Spielraum«. Van der Bellen will daher den diplomatischen Prozeß wieder in Gang bringen, in den vor allem Rußland und Weißrußland einbezogen werden sollen. »Dann sind auch Bodentruppen denkbar, aber nicht um Serbien zu erobern. Denkbar ist bestenfalls eine absolut wasserdichte (sprich: waffen- und erdöldichte) Quarantäne rund um Serbien durchzusetzen. Das Dilemma besteht zur Zeit darin,« so van der Bellen, »daß der Westen wegen Milosevic keinen Weltkrieg riskieren darf, ebensowenig darf Milosevic aber als Sieger dieses Konflikts übrigbleiben.«

Auch für die grüne Klub-Obfrau Madeleine Petrovic ist bedingte Gewaltbereitschaft nicht gleichbedeutend mit einer Absage an den Pazifismus. Eine mit defensiver Gewalt durchgesetzte Wirtschaftsisolation sei mit der Polizei vergleichbar, die einen Verbrecher aushungert. »Die Bombardements sind hingegen der Versuch, den selben Verbrecher ohne Rücksicht auf Verluste und die Geiseln zu überwältigen.« Genau darin liegt für Petrovic der Irrtum der Nato-Kriegsideologie und der Kriegs-Grünen, die ja den Krieg mit dem Durchsetzen der Menschenrechte für die Kosovo-Albaner begründen: »Bislang haben die Bomben keinem einzigen Kosovo-Albaner geholfen, im Gegenteil.«

Für Petrovic - selbst mit einem Kroaten verheiratet - haben die Serben erst im Windschatten der Natobomben ihre ethnischen Säuberungen auf die Spitze treiben können. Kritik an der Nato gibt es von grüner Seite - spät aber doch - vor allem, weil sich die Nato nicht um ein Uno-Mandat geschert hat. Die wiedergefundene Einigkeit der österreichischen Grünen über den Krieg, sowie die Nato und deren nichtvorhandene »Lizenz zum Töten« hat die Grünen gleich zur Forderung beflügelt, die Uno grundlegend zu reformieren. Petrovic im Klartext: »Die Uno muß das bedingungslose Gewaltmonopol bekommen und darf als einzige Organisation der Welt legitimiert sein, Gewalt anzuwenden und der Nato Einsatzbefehle zu geben. Das bedeutet aber, daß das Vetorecht einzelner starker Mitgliedsstaaten fallen muß, auch jenes der Russen, Chinesen oder Amerikaner. Das bedeutet aber auch, daß in Zukunft Menschenrechte von keiner Nation mehr als innere Angelegenheit betrachtet werden dürfen.«

Die Friedensinitiativen

Erst Mitte April, also fast drei Wochen nach dem Abwerfen der ersten Bombe, sind die ersten Aufrufe zu Friedensdemonstrationen und Mahnwachen gegen die Nato in die Redaktionen und die Postkästen der Gesinnungsgenossen geflattert. Die erste Kontaktaufnahme zur Koordinierung der Aussagen und Aktivitäten war etwa vom Salzburger Friedensbüro gar erst für den 20. April geplant. Der Grund für diese Verzögerung, die lang genug gedauert hat, um zig Millionen Dollar in Bombenform auf Belgrad zu werfen, liegt keineswegs darin, daß der Krieg für die Friedensforscher und Friedensaktivisten überraschend gekommen wäre. Den Grund für das lange Schweigen bringt Hans Peter Graß vom Salzburger Friedensbüro so auf den Punkt: »In der ersten Bombennacht bin selbst ich das Gefühl nicht losgeworden, daß der Gewaltakt der Nato angemessen ist.«

Und das, obwohl sich Graß bisher niemals dem Verdacht ausgesetzt hat, in Sachen Pazifismus halbherzig zu sein. Im Gegenteil. Seit Jahren arbeitet das Salzburger Friedensbüro am Aufbau einer zivilen Gesellschaft in Serbien, freilich mit einem Budget, das im Vergleich mit den jetzt für Krieg und Flüchtlingshilfe ausgegebenen Summen lächerlich klein ist. Doch immerhin, die spärlich subventionierten Friedensbüros und ihre großteils ehrenamtlichen Mitarbeiter sind die einzigen, die unabhängige Medien, Kulturvereine oder Wehrdienstverweigerer wenigstens mit organisatorischem Know-how oder veraltetem Büromaterial versorgt haben. Und trotzdem, auf die kf-Frage, was er nach dem Scheitern der Verhandlungen in Rambouillet gemacht hätte, antwortet Graß nach langem Überlegen: »Im ersten Moment war ich froh, daß irgend etwas geschieht, das die Greultaten im Kosovo vielleicht beendet.« Doch diese Hoffnung vieler Friedensaktivisten war von kurzer Dauer. Tag für Tag wurde klarer, daß die Nato-Aktion, so Graß, eine »reine Strafaktion ist, die zu nichts anderem taugt, als zum Durchsetzen einer arroganten Kriegermentalität.«

Doch der wirkliche Fehler des Westens war für den Friedensforscher nicht das Startsignal für die Kampfbomber. Der wirkliche Fehler lag in der jahrelangen Untätigkeit des Westens im Unterstützen der Opposition in Serbien und in der Naivität zu glauben, Serben und Albaner könnten ihre Probleme selbst lösen. Viel zu spät sei die diplomatische Maschinerie in Gang gekommen, obwohl nicht nur die Friedensbüros ganz Europas, sondern auch zahlreiche Journalisten und Balkanexperten jahrelang vor einem kontinuierlichen Anwachsen des ethnischen Konflikts im Kosovo gewarnt hatten. Für Graß wurde die Lehre aus Bosnien nur zur Hälfte gezogen. Denn, so lautet ein unumstrittener Lehrsatz der Friedensforschung: »Je später ein Konflikt behandelt wird, desto schwerer ist es, ihn gewaltfrei zu lösen«.

Aber genau darin liegt auch das Dilemma der Friedensbewegung an sich. In Zeiten, in denen ein Konflikt unspektakulär vor sich hin schwelt, haben Politik und Diplomatie wenig Interesse und so gut wie keine Bereitschaft, das Schlichten von ethnischen Konflikten finanziell zu unterstützen und ziehen sich mit dem bereits zitierten Zauberwort »Innere Angelegenheit« aus der Affäre. Auch für die Medien gibt es scheinbar Lohnenderes und die Spendenbereitschaft der Menschen im Westen springt erst durch Greuelmeldungen und Schreckensbilder an. Mit einem Wort: Ein (noch) unblutiger Konflikt interessiert keine Menschenseele. Wird erst einmal geschossen, dann stoßen aber die dogmatisch gewaltfreien Lösungsstrategien schnell an ihre Grenzen. Pazifismus, erklärt Hans Peter Graß, bedeutet nicht, sich wie ein Lamm auf die Schlachtbank führen zu lassen. »Pazifismus, das ist die Frage, wann ist welche Art von Gewalt gerechtfertigt.« Aber diese Frage hat der Westen sich nicht gestellt. Nicht vor Rambouillet und auch nicht danach. Im Fall Kosovo ist für Graß also auch friedenstheoretisch belegbar: »Es hätte sie gegeben, die passive Gewalt, das Verteidigen von Dörfern, das Schützen von Menschen mit Waffen, oder das Durchsetzen eines lückenlosen Wirtschaftsembargos.« Statt dessen hat sich der Westen für die Eskalation der Gewalt entschieden. Mit videogameartigen High-Tech-Vernichtungswaffen setzt die Nato auf das Spiel vom sauberen Krieg. Der Frieden sitzt im Keller und weint.