mai 1999

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Adieu Hoffnung!

Der Belgrader Journalist Petar Lukovic über die Atmosphäre in den Kellern der Hauptstadt Jugoslawiens

All diejenigen, die in diesem Jahrzehnt die Stammeskriege auf dem Gebiet der sozialistischen föderativen Republik Jugoslawien gelebt und auch überlebt haben, werden mit einer gewissen Dosis an bitterem Zynismus sagen, daß der jüngste Krieg am gebirgigen Balkan - aus dieser spooky Perspektive - erst der Auftakt für einen fernen und stets herbeigesehnten Frieden sei. Wahrscheinlich scheint daher - in der Atmosphäre des Kriegszustandes, der nächtlichen Bombardements, des Herumsitzens in Luftschutzkellern, des grenzenlosen TV-Patriotismus, des Glotzens gen Himmel und der immer häufigeren eskapistischen Ausflüge in Alkohol und leichte Drogen - nichts mehr normal. Der Wortschatz, den die Medien für die NATO und die Weltgemeinschaft gebrauchen (»perverse Kriminelle«, »Verbrecher«, »Neonazis«, »Die Schweine von CNN«, »Vieh«, »Faschisten«) wurde bereits zum selbstverständlichen Umgangs-ton mit dem Rest der Welt.

Selbstverständlich ist auch, daß niemand mehr beim Geräusch der Sirenen zusammenzuckt; noch selbstverständlicher ist es, mit der Anwohnerschaft im Luftschutzkeller zu sein, über Stunden, und wahrscheinlich am selbstverständlichsten ist ein Verhalten, das sich mit irrationaler Wucht von lasziver Hysterie über Apathie hin zu tiefer, angsterfüllter Depression bewegt. So eine Simulation des Lebens, in der es nichts von dem gibt, das noch vor zwei Wochen so gottgegeben, in Reichweite war, wirkt noch härter in einem Umfeld, wo dem Regime gerade jetzt, im richtigen Moment, eingefallen ist, mit aller Konsequenz und für immer mit einer der letzten Bastionen des urbanen Geistes abzurechnen, dem Radio B92. Erst wurde ihnen verboten zu senden, dann hörten die seltenen Radiostationen auf, ihr Nachrichtenservice zu nutzen, und dann wurde letzten Freitag auch offiziell die neue Führungsriege nominiert - mit den schon bekannten (Tito) Jugoslawischen-Linken-Gesichtern aus unserer finsteren Vergangenheit. Umgehend funktionierte nicht mehr der Provider opennet.org, der für tausende Menschen die einzige Möglichkeit war, mit der Welt zu kommunizieren. Schon vorher sind alle »freien Medien« zerstört worden - denn die Blätter, die derzeit in Serbien erscheinen, sind eigentlich Kriegsbulletins; so bekommt das Bild der Selbstisolation etwas Dramatisches, wenn es mit einem Bombardement in Zusammenhang gebracht wird, das, unlogischer- und unverständlicherweise, jegliche Chance auf Demokratisierung und Rückkehr in jenen Teil der Welt, der gemeinhin Europa genannt wird, zunichte macht. Wieder eine amerikanische, deutsche oder französische Botschaft in Belgrad zu haben, oder sich wiederum ausländische Filme in heimischen Kinos vorzustellen, das mutet jetzt wie ein Science Fiction-Szenario an, das allzu avantgardistisch ist, um es sich tatsächlich vorstellen zu können. Ausländische Zeitschriften? Bücher auf Englisch oder Französisch? Radiostationen, auf denen man Pulp oder die Manic Street Preachers hören kann? Vergeßt es! Anstatt der verhaßten Pulp ist Bora Djordjevic in Mode, mit seiner allerneuesten patriotischen Hymne »Gott helfe uns«; in Mode sind Konzerte auf Belgrader Brücken, ganze Nächte, das Festhalten am Geländer der Bridges To Babylon; in Mode sind amerikanische Filme (die nur beizeiten Studio B, TV Politika oder Kosava zeigen), die aber den Hintergrund der sogenannten imperialistischen Gesellschaft aufzeigen: »Dances with Wolves«, zum Beispiel, zeugt von der Ausrottung der Indianer (»Serben sind keine Indiander«, ein Transparent in Belgrad), der Film »Der Pate« zeugt vom mafiosen Charakter einer Nation ohne Seele, während die russischen Schwarzweißfilme vom Ende der zwanziger Jahre davon zeugen, daß uns der Weg gen Osten stets offen war. Bis auf die Nachrichten unserer Sportler, die appellieren, daß der Krieg beendet werde, nirgends ein Resultat von Matches der Champions League Italiens, Spaniens, Englands oder, nicht entfernt, Deutschlands Abgeschnitten von Sport, Musik, Büchern, des Providers opennet. org, ausländischer Zigaretten, e-mail-Nachrichten, mit abgewürgten Telefonlinien... und gleichzeitig gekoppelt an Fernsehen, an Luftalarme, Gerüchte, unbeholfen versteckte Angst, reden wir von zivilen Opfern in Aleksinac, möglichen Angriffszielen (»Wissen Sie, was sie heute abend bombardieren?«), und wie in einem blöden Drogenrausch träumen wir, daß das alles nur jemandes böser Traum sei, daß es am Kosovo ausgenommen ruhig sei, daß die Flüchtlinge zurückkehren, daß die NATO den Fehler eingesehen und die Angriffe eingestellt hat, und daß B92 noch immer auf Sendung ist.So einen Krieg, aus zehntausend Meter Höhe, in diesen Breiten, die wirklich schon alles aus- gekostet haben, hatten wir noch nie. Vielleicht gerade deshalb heute bewußter denn je, was da eigentlich in Sarajevo oder Zadar oder Vukovar passiert ist, besorgter und vorsichtiger gegenüber jeglicher Hyperrealität, in einem Land, in dem de facto nichts gearbeitet und nichts produziert wird, wo man dem Briefträger alle zehn Tage begegnet, in dem nichts mehr komisch ist... unter diesen Umständen durch das Internet zu surfen oder sich über neue Thriller auf dem laufenden zu halten wirkt wie ein Hauptindiz auf manische Depression, die manchmal von Telefonaten aus der Außenwelt zerschlagen wird oder von dem bißchen Mut, der durch Telefonleitungen dringt.

Immer öfter schließe ich die Augen und frage mich, was zum Teufel ich in meinem Vorleben angestellt hatte, daß ich gerade hier geboren werden mußte, im blutigen Märchen unserer lieben Völker und Volksgemeinschaften. Dort begegnen wir uns als Nachbarn, Brüder, entschlossen, daß uns die Zukunft nicht den leuchtenden Blick trübt auf eine Geschichte, in der wir stets die Stärksten, Klügsten, Besten waren.

Das sagt auch das Tonsignal: Die Sirene, die gerade aufheult und uns mitteilt, daß dies eine Melodie ist, deren Rhythmus wir nie vergessen werden...

Dieser Text erschien erstmals im kroatischen Magazin »Feral Tribune«, wo Petar Lukovic als ständiger Belgrad-Korrespondent arbeitet. »Feral Tribune« wurde für seinen fundierten wie spitzen Journalismus ebenso mit zahlreichen internationalen Preisen wie mit noch zahlreicheren Klagen im Inland bedacht.

Übersetzung Mario Jandrokovic