mai 1999

Doc Holliday
gelesen

Allein gegen die Kriegs-Mafia

100 Jahre »Die Fackel«

Am 1.April 1899, so schrieb ein Zeitzeuge, der Schriftsteller Robert Scheu, »war in Wien, soweit das Auge reichte, alles rot. Auf den Straßen, auf der Tramway, im Stadtpark, alle Menschen lasen aus dem roten Heft.« Gemeint war »Die Fackel«, dessen erste Nummer an diesem Tag erschien. Herausgeber und Hauptautor war der noch nicht ganz 25jährige Karl Kraus, der sein Germanistik- und Philosophiestudium abgebrochen und als Journalist gearbeitet hatte. Bis zu seinem Tod im Jahr 1936 folgten 922 Ausgaben der Zeitschrift, ab 1911 verzichtete er zur Gänze auf Mitarbeiter! Mit unglaublicher sprachlicher Artistik entwickelte Kraus alle Formen der literarischen Satire: Aphorismen, Glossen, Epigramme, Montagen und polemische Essays. Nichts und niemand waren vor seiner spitzen Feder sicher: Journalisten, Schriftsteller, Beamte, das reiche Bürgertum, »die Hyänen der Wirtschaft«, Pressezaren, Politiker aller Couleur - in den zwanziger Jahren verlor er auch alle Illusionen über die von ihm einst geschätzten Sozialdemokraten - , die kirchlichen Würdenträger, das Militär. Allesamt stellte er sie bloß in ihrem Machtstreben, ihrer Verlogenheit, Doppelmoral, Korruption und Dummheit. Das bescherte ihm Hunderte Droh- und Schmähbriefe, etliche Prozesse und zwei Überfälle. Karl Kraus kämpfte zuallererst gegen die Verlotterung der Sprache. Aus deren Deformation ließe sich auf den Zustand der Welt schließen. Bereits in der ersten Nummer begann seine lebenslange Fehde mit dem Journalismus, der »Pressgenossenschaft«. Er untersuchte die Presse, diese »Welthirnjauche«, auf Manipulationen, Lügen und Phrasen hin. Die kulturzerstörende Wirkung der Zeitungen offenbarte sich dann vollends im 1.Weltkrieg. Kraus Lebensmotto »Du sollst dich aufregen«, seine Meisterschaft des Entsetzens über den hirnlosen Militarismus, hatte sich nicht erst nach Ausbruch des großen Weltenbrandes eingestellt, sondern spätestens 1912 bei seinen kritischen Analysen der Balkanberichterstattung. Schreiberlinge aller Art identifizierte er als »Worthelfer der Gewalt«, deren Ergüsse einen »Krieg zur höheren Ehre der Rüstungsindustrie« bewirken. Dieser Assistenzeinsatz der Journalisten, aber auch der meisten Dichter, der »Versfußtruppe einer kriegsbesoffenen deutschen Literatur«, vernebelt die Hirne der Massen und wird zur Rechtfertigung einer Politik der Unmenschlichkeit. Das Präsens ist kein Stilfehler: diese Medienschelte , ist im Schatten eines neuen Balkankrieges so beklemmend wie ungebrochen (brand)aktuell.

P.S.: alle Zitate stammen aus der »Fackel«