juni-juli 1999

Wolfgang Karlhuber
gelesen

ALFRED PFABIGAN:Thomas Bernhard. Ein österreichisches Weltexperiment

Zsolnay Wien 1999

Alfred Pfabigan, der Autor des Bernhardschen »Gesamttextes« – so ließe sich in Anlehnung an J. L.Borges die Herangehensweise des Wiener Sozialphilosophen an seinen Untersuchungsgegenstand charakteri- sieren. Pünktlich zum zehnten Todestag Thomas Bernhards erschienen, versucht Pfabigans Buch einen neuen Blick unter Umgehung dessen zu initiieren, was er als »Bernhard-Konformismus« bezeichnet – als da wären die Zentrierung auf die Bernhardschen »Übertreibungen«, die »Ein-Buch-These«, die Übernahme des zeitweiligen Selbstbildnisses Bernhards vom »Geschichtenzertrümmerer« sowie die Konzentration auf die in der Reflexion vorgetragene Weltsicht der Figuren und der Identifikation derselben mit dem Autor. Was ihm vielmehr vorschwebt, ist ein Ernstnehmen der Texte von ihrer inhaltlichen Ebene her, d. h. als »Geschichten«, in deren Verlauf nach einem von den Bernhardschen Figuren getragenen »trial-and-error«-Verfahren Probleme genannt und Lösungen gefunden werden, und er gibt vor, aufgrund seiner Lektüre einen »Gesamttext« entdeckt zu haben, der »rückblickend auf einmal wie ein von langer Hand geplantes Literaturunternehmen wirkt«. Hier setzen die methodologischen Probleme ein, weil uns Pfabigan verschweigt, wer der Autor des »Gesamttextes« sei – nämlich Pfabigan, niemand anderer als Pfabigan, und keineswegs Bernhard, wie Pfabigan vorgibt! Die Gliederung der Werke in einen »chthonischen« (der Natur, Weiblichkeit und Familie behandelt und von »Frost« bis »Auslöschung« reicht) und einen »apollinischen« Block ( der sich mit dem Leben der Geistesmenschen befaßt und in »Holzfällen« und »Alte Meister« gipfelt ), sowie die seinen eigenen Intentionen zuwiderlaufende Identifizierung eines die Texte organisierenden »Gesamterzählers« mit dem Autor und die Hintanstellung der Stücke und autobiographischen Werke lassen eine Konstruktion zutage treten, die aufschlußreiche und originelle Einblicke eröffnet, aber trotzdem Thomas Bernhard nicht in die Schuhe geschoben werden kann. Thomas Bernhard, ließe sich daraus schließen, muß also nicht nur immer wieder neu gelesen, sondern auch neu geschrieben werden.