juni-juli 1999

Ulrike Ramsauer

Das Ohr aufwecken

Zeitfluss setzt auf akustische Erkundungen im szenischen Raum

Mit dem Zeitfluss-Festival haben Markus Hinterhäuser und Tomas Zierhofer-Kin in Salzburg ein beachtliches Programm zeitgenössischer Musik etabliert, das durch seine unakademische Vermittlungsweise besticht. Was Zeitfluss von anderen Festivals Neuer Musik wesentlich unterscheidet, ist inhaltliche Programmatik verbunden mit dem Anspruch, Hörerlebnisse in den entsprechenden Klangräumen zu inszenieren, sei es in der Kollegienkirche oder in einer sinfonischen Aktion auf dem Kitzsteinhorn. Mit viel Understatement präsentieren sie im Gespräch ihr Programm 1999, in dem es u. a. John Cage und Diamanda Galas, Gluck und eine Rumänische Brass Band zu hören gibt.

Zeitfluss hat 1993 erstmals im Rahmen der Salzburger Festspiele ein Programm mit Werken von Luigi Nono präsentiert. Welche Entwicklung hat das Festival seither genommen und wie verortet es sich innerhalb des Festspiel-Programms, das neuerdings Schienen Neuer Musik anbietet?

• Zierhofer-Kin: Die Idee von Zeitfluss war, Musik unserer Zeit nicht als ästhetisches Phänomen zu präsentieren. Es ging uns von Anfang an darum, sie auch in einen gesellschaftlichen Kontext zu stellen. Im Zentrum des ersten Projekts stand Luigi Nono nicht als Musiker, sondern als Künstler im umfassendsten Sinn, dessen Bestreben sehr stark politisch motiviert ist. Es ist vielleicht irgendwie absurd, von außen gesehen, daß man ausgerechnet mit dem wahrscheinlich renommiertesten Musikfestival zusammenarbeitet, aber für uns war das auch ein interessanter Reibungspunkt.

• Hinterhäuser: Ich glaube, daß wir eine Vorreiterposition gehabt haben. Es hat sich bewährt, innerhalb eines sehr heterogenen Festivalprogramms, das verschiedene Publikumsschichten ansprechen möchte, Inseln zu schaffen, um sich mit ganz speziellen Dingen auseinanderzusetzen. Wir haben unsere eigene Definition davon, was und wie Neue Musik ist, uns ging es nie um Uraufführungen, um die Berücksichtigung momentaner ästhetischer Trends.

Welche Überlegungen stehen hinter der Konzeption des heurigen Progamms. Gibt es eine Art Dramaturgie?

• Zierhofer-Kin: Wir haben versucht, ein Festival zu etablieren, das sich um inhaltliche Bezüge kümmert, zentral dabei war die Fragestellung, wie mit einem Kunstwerk die Wahrnehmung oder der Zuhörer verändert werden kann. Der Titel des diesjährigen Festivals heißt »Theater der Klänge«, wir wollen damit einen Schritt weitergehen: Die Kunstdiskussion hat sich auf einen Parameter, auf Ästhetik reduziert. Schönheit, Brillianz, Ausdrücke, die die klassische Musikkultur betreffen, sind nur ein Bruchteil dessen, was Klang, was Musik sein könnte. Die Erfahrungen der Trilogie haben gezeigt, daß es sehr wesentlich ist, in welchem Kontext man Musik aufführt, in welchem Raum sie erklingt, wie man sie konfrontiert. Das »Theater der Klänge« sollte ausprobieren, daß wesentliche Dinge nicht ästhetisch immanent sind...

• Hinterhäuser: ...und sehr viel mit Leben zu tun haben. Es gibt eine Art Theatralik des Klanges, die nicht von einer Lebensäußerung losgelöst ist. Bei unserer Eröffnungsveranstaltung »Experimentum Mundi« von Giorgio Battistelli geht es darum, daß achtzehn Handwerker unter der Leitung eines wahnwitzigen Dirigenten ihrer Arbeit nachgehen, plötzlich entsteht ein Musiktheaterstück. Wir arbeiten mit Leuten, die sicher nicht in dieses Schema Neue Musik passen, zum Beispiel auch der »Chor der Schreienden Männer« aus Finnland, der eine Kunst des Brüllens entwickelt hat. Sie brüllen Nationalhymnen, das ist unglaublich demaskierend. In Einar Schleefs Inszenierung einer Gluck-Oper wird das Orchester ersetzt durch Trachtenkapellen, durch Zitherensembles, durch Laienchöre, die sich Gluck und dem Mythos von Orpheus und Eurydike auf ihre eigene Art annähern werden.

Neue Musik ist immer noch schwer vermittelbar – wie erlebt ihr die Akzeptanz der Zeitfluss-Aufführungen?

• Hinterhäuser: Die Vermittlung ist uns eigentlich in den letzten drei Festivals ziemlich gut gelungen, weil wir zumindest im Erklärungsanspruch sehr zugänglich waren. Es geht darum, den Leuten etwas zu geben, womit sie Freundschaft schließen können, das kann Luigi Nono sein, das kann eine Rumänische Kapelle sein.

Das Festival hat unter diesem Direktorium eine Art Nische gefunden, welche Pespektive seht ihr innerhalb eines möglicherweise völlig neuen Festspielkonzepts nach Ende der Intendanz Mortier/Landesmann in zwei Jahren?

• Hinterhäuser: 2001 wird es sicher noch ein Festival geben. Wir haben die Arbeit bisher deshalb gemacht, weil wir eine Notwendigkeit verspürt haben, das ist nicht an Salzburg gekoppelt, nicht an ein Direktorium. Das muß nicht weitergeführt werden, vielleicht reicht das ja dann auch.

Danke für das Gespräch!