juni-juli 1999

Anton Gugg

Ein Ort - irgendwo, nirgendwo, überall

Luciano Berio stellt die Wand ins Zentrum einer Nicht-Oper

Wo jener Ort sein könnte, über den Luciano Berio »chronical« berichtet, scheint ohne Belang. »Cronaca del Luogo« ist ein fünfteiliger, musik-aktionistischer Bericht über die »Welt-Stätte« - besetzt mit mythisch-mystischen Personen und Erscheinungen und erläutert von »R«, der großen weiblichen Weltseele, der »Hure aus Jericho«, der Erinnerin und Prophetin (verkörpert vom hochdramatischen Sopran Hildegard Behrens).

Eine Oper selbst im freiesten Sinn ist die musiktheatralische Nachfolge des Odysseus-Stückes »Outis« ganz bestimmt nicht, ebensowenig ein Oratorium. Berio hat vielmehr ein prozessuales Werk von altbiblischer Wucht und Bedeutsamkeit für einen ganz bestimmten Ort und für den Allerhöchsten komponiert, gehört doch zum Bedeutungsfeld von »Luogo« auch das Göttliche.

Die »azione musicale« ist dramaturgisch an die Felsenreitschule gebunden, bezieht ihren szenischen Sinn nur durch die »Natur-Architektur« der Felswand. Die Arkadenreihen werden zum vertikalen Handlungsträger, aus dem heraus Chor, Solisten und Musiker agieren. »Prolog«, »Die Belagerung«, »Das Feld«, »Der Turm«, »Das Heim« und »Die Piaz-za« sind die Stationen eines Geschehens mit alttestamentarischem Hintergrund, der allerdings andere Assoziationen nicht ausschließt. Immer geht es um »Ort« und »Mauer«, Bedrohung, Vermessenheit, Aggression, Katastrophen, Verhersagen und Warnungen, bevor zum Schluß alle auf der ruinösen Piazza stehen und zu den Celan- und Zwetajewa-Worten singen: »Niemand gibt Antwort im nächtlichen Wind, dann kommt das Feuer und nach dem Feuer der Klang der langen Stille. Setze die Flagge auf Halbmast, Erinnerung. Heute und für immer«.

Sylvain Cambreling führt das Klangforum Wien durch eine stark elektronik-bestimmte Musik, die das Fragmentarische der Szenen betont und vor allem eines vermittelt: Die Weite einer grandiosen uralten Landschaft, eben den »biblischen« Anspruch des Werks. Claus Guth hat sich als Regisseur den Forderungen von Fels und Raum gestellt, Christian Schmidt dient mit Bühnenbild und Kostümen.

(Premiere 24. Juli).