juni-juli 1999

Anton Gugg

Der Traum von Faust

Salzburg und New York heben einen der un- bekanntesten Opernschätze der Moderne

Noch einmal Faust, jene mit Don Juan immerfrische Mythen-Figur, die den Salzburger Festspielen heuer programmatisch so am Herzen liegt. Im Jahr, in dem beide ebenso unangenehme wie faszinierende Herren den Sommerspielplan dominieren, gräbt man nicht etwa Christian Dietrich Grabbes so gut wie nie gespielte komödiantische Stoff-Verquickung aus, sondern greift nach einem musikdramatischen Werk, das auch höchst selten das Licht der Bühne erblickt, aber jedem Musikfreund beim Opern-Quiz gelehrt von der Zunge springt. Unter Mithilfe der Metropolitan Opera New York hebt Gerard Mortiers Wille zum Besonderen das »unbekannte Meisterwerk« aus der exakten Mitte der Zwanzigerjahre, Ferruccio Busonis »Dr. Faust«, auf die Bühne des Großen Festspielhauses (Premiere 1. August).

Peter Mussbach erhält also Gelegenheit, neben der Auffrischung seiner »Lulu«-Inszenierung (Premiere 20. August, Kleines Festspielhaus) ein weiteres faszinierendes »Dunkelstück« der frühen Moderne gemeinsam mit Bühnenbildner Erich Wonder für Salzburg und New York in Szene zu setzen. Von Wonder weiß man, daß er komplexe Inhalte und Abläufe in symbolische Großformen fassen kann, und Mussbach hat sein Gespür für das Innenleben einsamer Monster mit Alban Bergs Frauentragödie nachgewiesen. Dritter einschlägiger Spezialist in dieser Produktion ist der umwerfend vitale, japanisch-stämmige US-Pultmeister Kent Nagano, der endlich die Wiener Philharmoniker bei einem Opernprojekt vor seine Stabspitze bekommt. Das vokale Zentrum wird von Thomas Hampson besetzt. Der amerikanische Bariton vereint maskuline Stimmpracht, Feinfühligkeit und Intellektualität der Gestaltung momentan wie kein zweiter Sänger, was zuletzt bei vorbildlichen Mahler-Interpretationen nachzuprüfen war. Wahrscheinlich der ideale Faust einer Moderne, die am Vorabend der Jahrhundertkatastrophe seltsam gebrochen in Distanz zu sich und erst recht zu einem jahrhundertalten Stoff geht. Busonis letztes Opus ist weniger Handlungsoper denn Musikessay zu verstreuten Faust-Bildern, hochoriginell, superspröde, indirekt, mehr gespiegelt denn wirklich, kurzum ein Traumgebilde. Gut möglich, daß Mortier, der Kunstmensch und Moderne-Besessene, ein goldrichtiges Traumdeuterteam zusammengeführt hat.