juni-juli 1999

Anton Gugg

Sex, Verbrechen und die finstere Seite des Ich

Die Salzburger Festspiele mixen kräftige Theater-Cocktails aus Shakespeare- und Goethe-Zutaten

»Schlachten« ist für neun Stunden Spielzeit programmiert und wird von den Salzburger Festspielen als monströses Shakespeare-Königsdramen-Konzentrat zur Illumination der großen Menschheitslüste »Sex and Crime« propagiert. Neu ist die Idee einer Werk-Klitterung der elisabethanischen Geschichtsdramen jedenfalls nicht. Vor fast dreißig Jahren war der italienische Bühnen-Großmagier Giorgio Strehler auf den ebenso verlockenden wie gefährlichen Gedanken verfallen, die bluttriefende englische Historie um diverse Richards, Edwards und Heinrichs in einen prunkenden theatralischen Bilderbogen zu verwandeln. Das damalige, in der Felsenreitschule und später am Burgtheater vorgeführte »Spiel der Mächtigen« entfachte dröhnendes Bild- und Wortspektakel, in dem die Granden deutschsprachigen Theaters zum Vergnügen des Publikums und zur Häme der Kritik ihr selbstdarstellerisches Feuerwerk abbrannten.

Der neuerliche Angriff auf die Bastion der Königsdramen wurde 1998 in Gent auf Flämisch gestartet und wird auf der Halleiner Perner-Insel erstmals in seiner deutschsprachigen Facon geritten. Tom Lanoye und Luk Perceval sind die Verknapper der Textgebirge, mit denen Shakespeare im Sinne der Tudor-Herrschaft das wichtigste Wachstumskapitel der englischen Nation interpretierte und dabei vor allem das Tun der Herrscher rechtfertigte. Dem Autoren-Duo kommt es darauf an, die Spannung zwischen dem »Politiker« und dem gekrönten Pri-vatmenschen herauszuarbeiten. Nationalistische Aspekte und der »Kriegslärm« der Stücke werden weitgehend ausgeblendet. Nach der Filterung von allem allzu lokalkoloriertem Zeitgebundenen sollten als Konzentrat die pure Machtkampfmaschinerie und die sich wiederholende Tragödie der Monarchen übrigbleiben.

Shakespeares komprimierte »Rosenkriege« werden vom Ensemble des Deutschen Schauspielhauses Hamburg sowohl »am Stück«, als auch portioniert in zwei abendfüllenden Vorstellungen gespielt. Bis zum letzten Abschnitt, dem »Dirty Rich Modderfocker der Dritte«, entrollt sich »Schlachten« (in den Bühnenbildern Katrin Bracks) im Abstieg von »hoher«, klassischer Ausdrucksweise zur trashigen Sprache der Selbstzerstörung. Die Premiere am 25. Juli wird zeigen, ob die aus Shakespeare-Material gebrannte Macht-Parabel geschicktes Patchwork übersteigt.

Dem Prinzip des »geplünderten Text-Steinbruchs« folgt auch der Goethe-Kommentar der weltweit kultig verehrten katalanischen Theater-Rabauken »La Fura dels Baus«, die ihre »Faust Version 3.0« am 25. August ebenfalls auf der Perner-Insel starten. Die seit Jahren vorzugsweise mit brennenden und löschenden Elementen kämpfenden, inzwischen nicht mehr ganz jungen Wilden der sensationslüsternen internationalen Theaterszene werden bei ihrem späten Salzburg-Debüt dem Publikum sicher nicht so auf den Pelz rücken wie in ihren frühen Tagen. Dennoch kommt auf die Goethe-Gedenkjahr-Schar und die Liebhaber der romantischen Oper manche Herausforderung zu.

Das Theaterstück katapultiert den großen Unbefriedigten ins Internet-Zeitalter, das den im Mittelalter beheimateten Sinnsucher nicht mit Unwissenheit, sondern mit Überinformation bedroht. Badewanne, Disco und Krankenbett sind die Schauplatz-Aufhänger einer hochartistischen, mit allen denkbaren Effekten blendenden Show, für die der Weimarer Olympier höchstens Handlungsgerüst und Stichworte für Entfesselungen aller Art liefern darf. Vermutlich hätte der zum marmorglatten Gott des Bildungsbürgertums entstellte Rebell, Tabubrecher und vor allem erotische Grenzüberschreiter an diesem Spektakel seine helle Freude gehabt.

Eine Reaktion, die vielleicht auch von Hector Berlioz angesichts der Bühnenrealisierung seiner Visionsszenen »La Damnation de Faust« zu erwarten gewesen wäre, denn traditionelle Bühnenbilder haben sich schon immer als unzulängliche Vehikel für die musiktheatralischen Werke des französischen Klangrevolutionärs erwiesen. Die »Fureros« lassen sich vom Bildhauer und Objektkünstler Jaume Plensa einen transparenten Riesenzylinder auf die Bühne der Felsenreitschule stellen, dessen Volumen als Metapher für die seelische Dimension des Geschehens erlebt werden soll. Der flache, »mittelalterlich« anmutende Stationen-Spielraum, die Sprache des behauenen Felsens, die Reibung des mystischen Natur-Ambientes mit einer stereometrischen Skulptur und mit Apparaturen - all dies hat schon vor Jahrzehnten Jean Tinguely in einem technoiden Barockspektakel ausgereizt. Man darf gespannt sein, zu welchen neuen Entfesselungen die gefeierten Theatermacher der Jahrtausendwende fähig sind.